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#gleichberechtigt

Dokumentation des Europäischen Frauenkongress "Frauen verändern Europa!" vom 28.-30.06.2013

Im Rahmen des 40. Jubiläumsjahres des der Europapreis-Auszeichnung der Stadt Würzburg hat die Gleichstellungsstelle der Stadt Würzburg in Kooperation mit der Akademie Frankenwarte und dem Büro "Würzburg international" zum Europäischen Frauenkongress "Frauen verändern Europa!" eingeladen. Knapp 70 Frauen aus 9 Ländern folgten der Einladung und trafen sich zum disktutieren, kennenlernen und austauschen im Juni in der Akademie Frankenwarte. Die Journalistin Sonja Erkens hat den Kongress dokumentiert.

 

Vorwort von Dr. Zohreh Salali

Frauen und Männer sind gleich

Das ist Grundrecht und untrennbare Maxime der Europäischen Union.

(4) Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist ein grundlegendes Prinzip der Europäischen Union. Nach Artikel 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist jegliche Diskriminierung wegen des Geschlechts verboten und die Gleichheit von Frauen und Männernmuss in allen Bereichen gewährleistet werden.

2000 hat die Europäische Kommission auch die Rahmenstrategie zur Förderung der Gleichheit der Geschlechter für (2001-2005) Artikel 4 (Maßnahmen der Gemeinschaft), Absatz Ib (Analyse undBewertung) beschlossen:

- Richtlinie 2000/43/EG vom 2000: Gleichbehandlung ohne Unterschiede der Rasse und ethnischer Herkunft

- Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000: Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf

- Richtlinie 2002/73/EG vom 23. September 2002: Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Beruf

- Richtlinie 2004/113/EG vom 13. Dezember 2004:Gleichbehandlung von Frauen und Männer beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen

In allen Richtlinien und Gesetzen geht es darum, die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass keine Diskriminierungsmerkmale in irgendeiner Form weiterhin existieren können. Daher legt die Europäische Kommission dem Europäischen Rat jährlich einen Bericht vor, um die Entwicklung und Implementierung der Richtlinien vor allem auf dem Arbeitsmarkt zu beschreiben und weiter zu beobachten. Es ist in allen Berichten festzustellen, dass das Thema Gleichstellung in vielen Bereichen noch immer beim Alten geblieben ist. Es ist viel getan worden - von der Lohngleichheit bis zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind viele Initiativen entwickelt worden, die direkten Einfluss auf die Veränderung der Lebenssituation von Frauen und Männern in Europa haben. Es ist auch ein Trend festzustellen, dass die Entwicklung in die Richtung einer stärkeren Ausrichtung auf die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt fortschreitet.

Und dennoch ist es ein Fakt, dass nach wie vor ein ungleiches Machtverhältnis herrscht in welchem meist Frauen die Benachteiligten unter den Geschlechtern sind.

Die Strategie des Vertrags von Lissabon ist eine progressive Vereinbarung für Wachstum und Beschäftigung und soll. in der EU-Strategie für 2020 ihren festen und wichtigen Platz erhalten. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung kann nur Erfolg haben, indem die Dringlichkeit der Integration benachteiligter Gruppen deutlich gemacht wird.

Obschon sich die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen zu Gunsten der Gleichstellung der Frauen geändert haben, bleiben die eigentlichen Herausforderungen bestehen– nämlich im Sinne der Gleichheit laufende Arbeitsmärkte, die Aufnahmefähigkeit und Zweckmäßigkeit der Sozialschutzsysteme, die Alterung der Gesellschaft. Auch Themen wie Altersarmut, Teilzeitarbeit, Pflege, Arbeitslosigkeit, Unterbezahlung Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Unterpräsentation in Führungspositionen sind nach wie vor die Begleitmusik der Gleichstellungs-Debatte.

Diese Herausforderungen machen in der heutigen Zeit der Wirtschaftskrise mehr denn je die Vernetzung aufmerksamer Frauen und Männer europaweit notwendig, um zu verhindern, dass unter dem Vorwand der Priorität der Bewältigung der Wirtschaftskrise die Mittel für Gleichstellungsmaßnahmen eingefrostet oder gar gekürzt werden. Eine Betrachtung der nationalen Diskussionen über die Krise bestätigt diese Gefahr.

Daher war aus der Sicht der Gleichstellungsstelle notwendig und bereichernd, dass sich im Rahmen des Europäischen Frauenkongresses viele Frauen aus verschieden europäischen Länder mit den diversen Facetten der Geschlechtergerechtigkeit befassten und – noch wichtiger – die Gelegenheit nutzten, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen, sich zu vernetzen und gerade die Krise als Chance sehen, sich aktiv für die neue Gestaltung der Rahmenbedingungen europaweit einzusetzen. Die Veranstaltung hatte verschiedene Schwerpunkte, wie die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse, die Frage, ob und wie weit sich die Geschlechterverhältnisse modifiziert haben, die Chancen(un)gleichheit in Bildung, Ausbildung und vor allem Arbeitswelt sowie die Bewertung und Diskussion rund um gleichstellungspolitische Maßnahmen der Europäischen Union und deren Perspektiven gerade in der Wirtschaftskrise. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit klassischen Themen wie Pflege, Familie, Religion, Erziehung, Partnerschaft, Medien und vielen weiteren Aspekten fand statt.

Im Laufe des Kongresses entwickelten sich viele hochspannende und kreative Diskussionen unter den Frauen, die all diese Themen aus unterschiedenen Blickwinkeln und vor ihrem jeweilig persönlichen Hintergrund unter die Lupe genommen und konstruktiv hinterfragt haben. Wir bedanken uns für das Engagement aller Teilnehmerinnen sowie besonders auch bei der Akademie Frankewarte, die diesen Austausch in hrem wunderschönen Ambiente ermöglicht hat.

Dr. Zohreh Salali

Gleichstellungsbeauftragte Stadt Würzburg


Von „Hjärtligt välkomna!“ bis „Srdecncvítejte!“

In zwölf Sprachen begrüßen sich die knapp 70 Frauen am Freitagmittag bei der Kennenlernrunde des Europäischen Frauenkongresses 2013. Der Einladung der Gleichstellungsstelle der Stadt Würzburg, der Akademie Frankenwarte und dem Büro „Würzburg international“ sind vor allem Frauen aus den Würzburger Partnerstädten gefolgt; Sie sind aus dem tschechischen Trutnov angereist und aus Maribor in Slowenien, aus Umeå im Norden Schwedens, dem Ostirischen Wicklow und aus vielen anderen Städten etwa in Kroatien, Schottland und Spanien. Insgesamt neun Nationalitäten sind beteiligt, wenn es in den folgenden drei Tagen um die Lebenswelten von Frauen in verschiedenen europäischen Ländern geht. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums als Europastadt schafft die Stadt Würzburg mit dem Frauenkongress die nicht eben alltägliche Gelegenheit, die Verhältnisse im jeweils eigenen Heimatland mit denen in anderen EU-Staaten abzugleichen.

Einen besonderen Fokus haben die Veranstalterinnen in diesem Jahr auf die Bereiche „Ausbildung, Arbeit und Familie“gelegt; Hier soll vor allem die Frage erörtert werden, welche gleichstellungspolitischen Erfolge in den vergangenen Jahren zu verzeichnen sind – und, nicht minder wichtig: Was noch zu tun ist, um  wirkliche Geschlechtergerechtigkeit zu etablieren.


Rückschritte, Fortschritte und Kontinuitäten

Ein Nachmittag im World Café

Die erste Kennenlern-Runde hatte zum gegenseitigen Austausch angeregt, indem die Frauen aufgefordert gewesen waren, sich mit jeweils einer unbekannten Frau über Alltägliches auszutauschen, also etwa von ihrer Familiensituation zu berichten oder zu erzählen, wie lange sie sich schon mit geschlechterpolitischen Fragen auseinander setzen. Schließlich hatte Stephanie Böhm zum Ziel des Kongresses erklärt, „dass jede mindestens einmal persönlich mit jeder ins Gespräch kommt.“

An der Idee des ungezwungenen Austauschs knüpft am Freitagnachmittag der Programmpunkt „World Café“ an: Dabei können sich die Teilnehmerinnen für zwei von acht Themen entscheiden, über die sie an entsprechenden Tischen gemeinsam mit anderen Teilnehmerinnen und sachverständigen Moderatorinnen diskutieren können. Die Gesprächsatmosphäre an den Thementischen soll dabei entspannt sein wie in einem Café, während die jeweiligen Moderatorinnen dafür sorgen, dass das gewissermaßen en passant artikulierte Wissen der Frauen an einer Flip Chart festgehalten wird. Nach 30 Minuten erinnert der Ton einer Klangschale die Teilnehmerinnen daran, zum nächsten Thementisch zu wechseln und dort mit einer anderen Gruppe von Frauen weitere 30 Minuten über ein neues Thema zu sprechen.

Der Ideen- und Facettenreichtum der „Kaffeegespräche“ zeigt sich schließlich anhand der Plakate, die im Plenum vorgestellt und besprochen werden.


„Recht haben wir schon lange!“

Eine Analyse alltäglicher antifeministischer Aussagen

„Hast Du das wirklich nötig...?“ oder „Was, schon wieder ein feministisches Seminar?!“ - Solche rhetorischen Fragen und sarkastischen Bemerkungen haben zahlreiche der Teilnehmerinnen des Frauenkongresses tatsächlich zu hören bekommen, wenn sie erzählt haben, wo und mit welcher Beschäftigung sie ihr Wochenende verbringen. Generell sind missbilligende Kommentare keine Seltenheit, wenn sich Frauen als Feministinnen zu erkennen geben – vor allem, aber selbstverständlich nicht ausschließlich von Seiten männlicher Mitmenschen.

„Das sind allesamt Abwehrmechanismen, um nicht über Inhalte reden zu müssen“, stellt Zita Küng in ihrem Vortrag „Abwehrmechanismen im Geschlechter-Thema erkennen und auflösen“ am Freitagabend unmissverständlich fest. Die charismatische Schweizerin hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Doris Doblhofer untersucht, mit welchen argumentativen Mustern GegnerInnen gleichstellungspolitischer Forderungen diese zu bekämpfen versuchen – und sie hat  herausgearbeitet, wie sie zu entkräften sind.

„Es ist erstmal wichtig, zwei Ebenen auseinander zu halten“, betont Küng. „Das ungleiche Geschlechterverhältnis spielt sich auf struktureller Ebene ab, die Anfeindungen gegen feministische Statements finden auf einer persönlichen Ebene statt.“ Wer also als einzelne Frau eine geschlechtsspezifische Problematik anspricht, erlebt zumeist eine Abwehr, die sich auf die eigene Person bezieht – obwohl das angesprochene Problem ja keine persönliche, subjektive oder individuelle Angelegenheit ist.

Nett zu sich selbst sein

Obschon Äußerungen wie „Frauen werden doch schon lange nicht mehr diskriminiert“ („Abwehrmuster Antiquierung“) oder aber „Frauen und Männer sind eben verschieden, das ist eine biologische Tatsache“ („Abwehrmuster Biologisierung“) relativ leicht zu entkräften sind – wenn sie einer entgegen schlagen, ist das emotional schmerzhaft und intellektuell beleidigend. Dennoch ist es laut Küng vor allem wichtig, nicht sofort zum Gegenangriff über zu gehen, wenn einer ein solches Abwehrmuster entgegen schlägt. Stattdessen empfiehlt sie, erst einmal inne zu halten und „nett zu sich selbst zu sein“, also sich die Verletzung einzugestehen: „Wir müssen uns in solchen Momenten vor Augen halten, dass es eine riesige Leistung von uns ist, für Gleichberechtigung einzustehen und die damit verbundenen Abwertungen immer wieder zu ertragen.“ Erst nach einer Erholungsphase ist es möglich, rational zu überlegen, welcher Anspruch oder welches Bedürfnis bei der attackierenden Person in Gefahr ist, sodass sie ein feministisches Anliegen bekämpfen muss. „Wenn mir das klar ist, kann ich mit der Person in einen gewaltfreien Dialog treten.“

Auch wenn Küngs Ausführungen von einem zustimmenden Raunen begleitet sind, haben einige der Zuhörerinnen Einwände: Eine Teilnehmerin wirft ein, dass es recht kompliziert sein kann, auf einen emotional verletzenden Angriff mit einer kühlen Analyse der Absichten des Angreifers zu reagieren: „Ich frage mich dann: wieso nicht einfach verbal zurück schlagen?!“ Eine andere Zuhörerin fragt, ob die Reaktionen auf diese Angriffe nicht auch geschlechtsspezifisch ausfallen sollten und eine weitere gesteht, dass sie auch schon despektierlich über feministische Statements gedacht oder gar gesprochen hat. „Angriffe auf Geschlechterthematiken kommen selbstverständlich nicht nur von Männern“, stimmt Küng zu. „Denn für Frauen ist es ja auch erniedrigend, sich als diskriminiert zu erfahren. Ein Frontalangriff bringt jedoch keine Kooperation und es geht auch nicht darum, Recht zu haben, führt sie fort und fügt augenzwinkernd hinzu: „Denn Recht haben wir sowieso schon lange!“

Ihre Vision sei vielmehr, dass sich alle Menschen auf Augenhöhe begegnen können: „Sich klein machen macht krank – sorgen  deshalb dafür, dass sie immer fröhlich bleiben“, so ihr Rat, bevor die Frauen den Abend passender Weise in der Weinstube ausklingen lassen.


Ein Teich voll bunter Fische

Einblicke in europäische (Aus)Bildungs- und Arbeitswelten

Schon in der Vorstellungsrunde am Vortag war deutlich zu spüren gewesen, wie groß das Interesse der Teilnehmerinnen an den Lebenswelten der Frauen aus den anderen EU-Ländern ist. Am Samstagmorgen ist der internationale Austausch dann sogar expliziter Programmpunkt: Ab neun Uhr geht es um „Chancengleichheit in Bildung, Ausbildung und Arbeitswelt in verschiedenen EU-Ländern“. Diskussionsansätze liefern drei Referentinnen, die in jeweils sehr unterschiedlichen Arbeitsfeldern Erfahrungen zum Thema Geschlechtergerechtigkeit gemacht haben und auf dem Podium darüber diskutieren. Danach wird das Podium geöffnet und zur „Fish Bowl“, also einem Goldfischglas im übertragenen Sinn: Die Zuhörerinnen können sich dabei auf den freien Stuhl begeben, ihre eigenen Hintergründe einbringen und ihr Wissen mit den Referentinnen diskutieren.

„Als ich vor 20 Jahren angefangen habe, mich mit Bootsbau zu beschäftigen, war das eine absolute Männerdomäne“, erzählt Monika Lehn, die sich seit zehn Jahren im Handwerkerinnenhaus in Köln engagiert. „Ich habe als eine der ersten Frauen in Deutschland große Segelschiffe ganz allein geführt. Mir hat es damals sehr geholfen, mich mit den wenigen Frauen zu vernetzen, die etwas Ähnliches machen, also auch ein Handwerk betreiben.“

Mit dem Projekt „Holly Wood“ unterstützt sie heute Mädchen bei der Berufsorientierung: Dabei können Mädchen und junge Frauen ab der fünften Klasse in verschiedene Handwerke jenseits des Frisörberufs hinein schnuppern, also beispielsweise ein Regal für ihr Zimmer selbst schreinern oder eine Lampe in Form eines flammenden Herzens zusammen löten. „Eine Entscheidung für einen bestimmten Beruf kann ich nur treffen, wenn ich zum Einen die verschiedenen Optionen überhaupt kenne und zum Anderen tatsächlich eine freie Wahl habe“, begründet Lehn die Angebote des Handwerkerinnenhauses. Erst wenn die Hemmschwelle grundsätzlich gefallen ist, einen Handwerksberuf überhaupt auszuprobieren, ist eine Binnendifferenzierung möglich: „Die Mädchen können sich bei uns entscheiden, ob sie lieber etwas mit Holz machen möchten oder sich eher für Elektrotechnik interessieren.“ Als besonders motivierend beschreibt Monika Lehn den Effekt, dass die Mädchen bei Holly Wood etwas Bleibendes bauen und mit nach Hause nehmen können: „Damit können sie bei Eltern oder FreundInnen beweisen, zu was sie fähig sind. Typische Frauenarbeit ist ja ansonsten doch häufig rein reproduktiv.“

(K)Eine freie Berufswahl?

Dass die Berufswahl junger Frauen und Mädchen nicht auf einer völlig freien Basis statt findet, betont auch Uta Klein, die an der Universität Kiel als Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Gender und Diversity arbeitet. „Die so genannten 'Gatekeeper' wie LehrerInnen und BeraterInnen beim Arbeitsamt drängen Mädchen und Jungen in unterschiedliche Richtungen“, erklärt sie. Vor allem Berufe, die auf MINT-Studienfächer aufbauen – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – sind für Frauen insofern unattraktiv, als dass sie dort besonders beäugt würden: „Während Frauen in typischen Männerberufen eher abgewertet werden, schlägt Männern in typischen Frauenberufen tendenziell Sympathie entgegen“, so Klein weiter. Ihr zufolge müssen Frauen in den MINT-Berufen gefördert werden, während gleichzeitig auch junge Männer in der Berufsorientierung neue Perspektiven brauchen: „Die professionalisierte Fürsorgearbeit wird immer noch zu 70% von Frauen geleistet!“

Mit den von Klein genannten „Gatekeepern“ hat es Dorothea Kröll zu tun – beziehungsweise, sie ist streng genommen eineR von ihnen: Die Lehrerin und systemische Beraterin verfolgt mit dem Verein „Frauen & Schule“ das Ziel, Bildungsinstitutionen geschlechtergerechter zu gestalten. Begabungen und Neigungen von Jungen und Mädchen dürfen dabei nicht geschlechtsspezifisch einsortiert und bewertet werden, so Krölls Anliegen: „Viele LehrerInnen weisen den Schülerinnen und Schülern unbewusst bestimmte Fähigkeiten zu, die eigentlich nur Geschlechterstereotype reproduzieren. Wir wollen Lehrkräfte sensibilisieren, diese Fehler möglichst nicht mehr zu machen.“

Weil die Referentinnen sämtlich aus Deutschland kommen beziehungsweise dort tätig sind, sind im Anschluss vor allem Frauen aus den anderen Ländern ermutigt, in der „Fish Bowl“ mit zu schwimmen: „Der leere Stuhl ist eine Einladung an Sie, von ihren Erfahrungen in den Bereichen (Aus)Bildung und Arbeitswelt zu berichten“, animiert Zita Küng die Frauen.

Stimmen aus der „Fish Bowl“

„Ich bin Ingenieurin und ernähre mit meinem Beruf meine Familie – mein Mann ist krankheitsbedingt berufsunfähig und kümmert sich zu Hause um Haushalt und Kinder. In meinem Büro arbeiten zirka 30 Menschen und das Geschlechterverhältnis ist ungefähr ausgeglichen. Trotzdem höre ich oft den Vorwurf, dass ich mich nicht um meine Kinder Kinder kümmere – auch von Frauen! Insofern glaube ich, dass wir als Frauen selbst an der so genannten gläsernen Decke Schuld sind, wenn wir uns das zu Herzen nehmen und uns damit von der Erwerbsarbeit abhalten lassen. Ich glaube, dass ich eine gute Mutter bin, denn für mich zählt nicht die Dauer, sondern die Qualität des Zusammenseins mit meinen Kindern.“ Helena Hardikerova, Tschechien

„Wir Schweden bilden uns ja jede Menge darauf ein, gleichberechtigt zu sein. Deshalb sagen meine StudentInnen oft, dass Feminismus überhaupt nicht mehr nötig ist, weil Frauen und Männer die gleichen Chancen haben. Wenn Feminismus aber nicht nur auf eine verbale Aufgeschlossenheit reduziert werden soll, muss das Geschlechterthema wieder auf die politische Agenda kommen.“ Margareta Ekesryd, Schweden

„Als Professorin der Rechtswissenschaft an der Universität in Salamanca beschäftigt mich auch die Frage, ob es eigentlich sinnvoll ist, immer mehr Gesetze zur Gleichstellung zu implementieren – oder ob dadurch nicht eher das Geschlechterverhältnis festgeschrieben wird. In meiner Hochschule wird der Frauenanteil immer geringer, je höher die Positionen sind. Frauen haben das Gefühl, dass sie sich irgendwann entscheiden müssen, ob sie ein Privatleben haben wollen, oder ganz im Beruf aufgehen. Für Männer ist diese Entscheidung viel leichter, weil sie nicht abwertend behandelt werden, wenn sie sich ganz der Karriere widmen.“ Nieves Sanz, Spanien


Von Work-Life-Balance, Summerschools und Home Office

Warum die Unternehmen Mainfrankens um weibliche Arbeitskräfte werben müssen

Der Termin für das Gruppenfoto mit allen Teilnehmerinnen fällt beinahe sprichwörtlich ins Wasser, doch der Dauerregen legt gnädigerweise um 14 Uhr eine kurze Pause ein, sodass sich die Gruppe vor dem Turmhaus ablichten lassen kann. Danach geht es per Bus nach Würzburg, wo die Frauen in kleineren Gruppen „Einblicke in die Lebens- und Arbeitswelten vor Ort“ nehmen können, wie es im Programm heißt.

Zu den Würzburger Firmen und Institutionen, die ihre Türen für die Teilnehmerinnen öffnen, gehören unter anderem das Rathaus, das Familienzentrum, das Biozentrum der Universität, das Kilianeum und das Plastische Theater Hobbit.

Die neun Teilnehmerinnen, die sich entschieden haben, etwas über die Situation von Frauen in der regionalen, also mainfränkischen Wirtschaft zu erfahren, treffen in den Räumen der Gesellschaft Region Mainfranken auf die Geschäftsführerin Åsa Petersson. Die gebürtige Schwedin arbeitet daran, die Region Mainfranken als Wirtschaftsstandort zu stärken und die Lebensqualität für die BewohnerInnen zu erhöhen.

Gruppenbild mit Dame

Die Kinderzeichnungen auf der Wandtafel im Konferenzraum kommentiert Petersson lachend: „Wir sind ein kinderfreundliches Unternehmen.“ Nichtsdestoweniger ist das Geschlechterverhältnis in ihrem Metier alles andere als ausgewogen, wie ein Foto deutlich macht, das Petersson während ihres Vortrags zeigt: Inmitten der Landräte der sieben Kreise, welche die Region Mainfranken bilden, befindet sich gerade mal eine Frau. „In Schweden wäre dieses Verhältnis zumindest etwa 40/60, also nur ein paar mehr Männer als Frauen“, schätzt Åsa Petersson und ergänzt aus ihren Erfahrungen der Arbeit in den USA: „Da gibt es sehr strenge Vorgaben hinsichtlich der Quotierung, da wäre das Verhältnis also wahrscheinlich 50/50.“

Aber auch innerhalb von Wirtschaftsunternehmen in der Region Mainfranken könnte das Szenario bald ein anderes sein. Weil die Bevölkerung Mainfrankens kontinuierlich schrumpft, wird in den kommenden Jahren ein eklatanter Fachkräftemangel entstehen. „Die Unternehmen sind also darauf angewiesen, nicht mehr nur relativ junge, männliche und deutschstämmige Mitarbeiter einzustellen.“ Stattdessen müssen die Firmen auch um ältere MitarbeiterInnen, Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen werben. Und weil attraktive Arbeitsplätze für Frauen nach wie vor überwiegend jene sind, die sich mit Familie und Kinderbetreuung vereinbaren lassen, schreibt die Gesellschaft Region Mainfranken einen Preis für familienfreundliche Strukturen im Betrieb aus.

Karriereschluss oder „Rabenmutter“?

Zu ihren Forderungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehören neben einer verbesserten Work-Life-Balance, flexiblen Arbeitszeiten und der Möglichkeit, von einem Büro zu Hause aus zu arbeiten auch Kinderbetreuung am Arbeitsplatz und Summercamps für die Zeit der Schulferien. „Die meisten Betriebe sind von diesen Forderungen allerdings noch sehr weit entfernt“, räumt Petersson ein. Sie kennt die Konflikte berufstätiger Mütter aus eigener Erfahrung: „Mein Sohn war der einzige, der den ganzen Tag in seiner Kindertagesstätte blieb“, erzählt sie. „Obwohl ich das selbst nicht problematisch finde, hatte ich Angst, dass mich die anderen Eltern für eine Rabenmutter halten, die nur auf ihre Karriere aus ist.“

Wer dieser Angst nicht standhält und sich für einige Jahre aus der Berufswelt hinaus begibt, um sich ganz um die Familie zu kümmern, findet allerdings nur schwer wieder einen Einstieg in den Job, wie eine Teilnehmerin ergänzt: „Nach acht bis zehn Jahren Auszeit will eine doch niemand mehr einstellen.“

Andere Teilnehmerinnen schütteln angesichts dieser Problemlage allerdings verständnislos den Kopf: „Für mich sind diese Ausführungen Science Fiction“, kommentiert die Journalistin Jasmina Holc. In Slowenien gibt es zwar eine staatlich gesicherte Kinderbetreuung von 7 bis 16 Uhr, stattdessen stehen die meisten Frauen jedoch vor einer anderen Hürde, wenn sie auf Stellensuche sind: „Wir haben in Slowenien keinen Fachkräftemangel, sondern 20% Arbeitslosigkeit. Insofern können wir froh sein, wenn wir nach einem abgeschlossenen Studium überhaupt eine Anstellung finden – die Kinderbetreuung ist dabei unser kleinstes Problem.“


Status Quo: Mangelhaft

Prof. Dr. Uta Kleins ambivalentes Fazit der EU-Gleichstellungspolitik

Ob in den Gesprächen des World Cafés, den Diskussionen mit Politikerinnen beziehungsweise den Frauen in der Wirtschaft oder während der zahlreichen angeregten Kaffeepausen: Immer wieder waren Stellungnahmen zu hören gewesen, die gleichermaßen stolz auf die Errungenschaften feministischer Kämpfe verwiesen, wie auch zugleich das Eingeständnis eines nach wie vor unausgewogenen Geschlechterverhältnisses in fast allen Lebensbereichen der Teilnehmerinnen.

Eine ähnliche Gleichzeitigkeit von Erfolgen und weiterhin existierenden Missständen zeigt sich auch in der Gleichstellungspolitik der Europäischen Union. Die Ergebnisse der ambivalenten Entwicklung, die zumal in Zeiten wirtschaftlicher Krise hervor treten, beleuchtet Uta Klein in ihrem Vortrag am Freitagmorgen. Die Professorin für Soziologie, Gender und Diversity an der Universität Kiel rekapituliert die Geschichte der Europäischen Gleichstellungspolitik und stellt schließlich die gegenwärtigen Umstände zur Diskussion.

Die Tücken der Gleichstellungs- beziehungsweise Nicht-Diskriminierungspolitik verdeutlichen schon die ersten Bestrebungen der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), eine Richtlinie für „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ einzuführen: Da Frauen und Männer häufig nicht dieselben Tätigkeiten verrichten, hatte diese Richtlinie kaum Auswirkungen auf den so genannten „Gender Pay Gap“, also das strukturelle Lohngefälle zwischen Frauen und Männern. Erst knappe 20 Jahre später wurde die Richtlinie umformuliert, sodass gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit gefordert werden konnte. „Mittlerweile unterscheidet die EU sogar zwischen direkter und indirekter Diskriminierung am Arbeitsplatz“, erklärt Klein. Es kann also gegenwärtig nicht nur dann von Diskriminierung gesprochen werden, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts beispielsweise nicht eingestellt wird, sondern auch dann, wenn Einstellungsvoraussetzungen so formuliert sind, dass sie  Frauen benachteiligen.

Teures Leben für Frauen

Nichtsdestoweniger ist der Status Quo im Genderrecht alles andere als vollständig, resümiert Uta Klein – etwa deshalb, weil der Diskriminierungsschutz überwiegend auf die Sphäre der Erwerbsarbeit beschränkt ist: „Aber Gleichstellung bezieht sich nicht nur auf den Zugang zu Arbeitsplätzen – sondern auch auf den Zugang zu Gütern!“ So bezahlen Frauen in vielen Lebensbereichen mehr für gleiche Leistungen wie Männer, sei es der Beitrag zur Krankenversicherung, der Besuch beim Frisör oder die Reinigung einer Bluse: „Ich mache mir oft einen Spaß daraus, ein Kleidungsstück von mir in die Reinigung zu bringen und zu behaupten, es sei das Oberhemd meines Mannes“, scherzt Klein.

Darüber hinaus stellt sie eine weitere ambivalente Entwicklung fest, nämlich die Erweiterung der Antidiskriminierungspolitik um Dimensionen wie etwa Ethnizität, Religion, sexuelle Orientierung und (Nicht)Behinderung: „An die Stelle von Geschlechterpolitik tritt zirka seit dem Jahr 2000 das Konzept Diversity, das irgendwie 'in' beziehungsweise 'hip' ist.“ Grundsätzlich begrüßenswert, darf diese Erweiterung allerdings nicht dazu führen, Frauenpolitische Anliegen aus dem Blick zu drängen. Denn zum Einen sind durchschnittlich immer noch weniger Frauen als Männer überhaupt berufstätig, wie Klein anhand entsprechender Statistiken im EU-Vergleich belegt. Zudem verdienen berufstätige Frauen nicht so viel wie ihre männlichen Kollegen: „Außerdem sind Frauen deutlich häufiger in Teilzeit beschäftigt, während Männer überwiegend Vollzeit arbeiten.“ Grundsätzlich keine Gegnerin von Teilzeitarbeit, kritisiert Klein lediglich die ungleiche Verteilung von Arbeitszeit und Einkommen.

Wandel im Sozialstaat nötig

Ihr zufolge ist deshalb ein grundsätzlicher Wandel des Sozialstaates unbedingt notwendig, um wirkliche Gleichberechtigung und Freiheit von Diskriminierung zu ermöglichen: „Das gegenwärtige Steuermodell begünstigt einen in der Regel männlichen Haupternährer und eine entsprechend weibliche Zuverdienerin“, kritisiert Klein. Dadurch wird die Zuständigkeit der Frauen für die Arbeit in Haushalt und Familie zementiert und gerät die Verantwortlichkeit von Frauen und Männern in der Gesellschaft ins Ungleichgewicht. Eine Reform der Beschäftigungspolitik, die es Frauen und Männern gleichermaßen ermöglicht, Reproduktions- und Erwerbsarbeit zu vereinbaren und gerechter aufzuteilen, ist daher ebenso unumgänglich wie auch die der zugehörigen Einstellungsmuster von Männern und Frauen: „Wir tragen alle jeden Tag dazu bei, Geschlechterstereotype zu reproduzieren“, stellt Uta Klein fest und gibt den Teilnehmerinnen ein Zitat der feministischen Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831-1919) mit auf den Weg: „Glaube nicht, es muss so sein, weil es so ist und immer so war. Unmöglichkeiten sind Ausflüchte steriler Gehirne. Schaffe Möglichkeiten!“


Gemeinsam denken, vernetzt handeln

Produktiver Endspurt: frauenpolitische Ziele, Strategien und Initiativen in EuropaProduktiver Endspurt: frauenpolitische Ziele, Strategien und Initiativen in Europa

In den „Fish Bowl“ hatten sich am Vortag nur einige Frauen getraut, im „Brain Pool“ waren sie das Wochenende über unweigerlich alle gewesen. „Nicht nur sogar, sondern vor allem in den Kaffeepausen haben Sie wahrscheinlich viele wichtige Gespräche geführt und neue Ideen gehabt“, hebt Zita Küng die Produktivität der Zeit zwischen den offiziellen Programmpunkten hervor. Um aus der Tiefe der versammelten Erfahrungshorizonte und persönlichen Hintergründe zu schöpfen, waren die Frauen bereits am ersten Tag aufgefordert worden, neben ihren Anregungen zu geschlechtsspezifischen Arbeitsthemen und -feldern auch weitere Ideen zu notieren, die ihnen vor oder während der Tagung wichtig erschienen waren. Die so festgehaltenen Anliegen und Interessensschwerpunkte finden sich schließlich am Sonntagmittag thematisch sortiert auf Flip Charts und die Teilnehmerinnen haben nun noch einmal die Möglichkeit, das sie am meisten interessierende Thema in kleineren Gruppen zu diskutieren. Insgesamt acht Stich- beziehungsweise Themenschwerpunkte stehen schließlich zur Auswahl:

Frauen in der Politik

Frauen in der europäischen Protestbewegung/in der aktuellen Krise

Ideen für EU-Projekte/Finanzierungsideen

Gender-Themen in der Erziehungskompetenz – Warum macht rosa dumm?

Den Willen der Frauen zur Macht stärken

Qualität der Kinderbetreuung

Was tun für gleiche Bezahlung?

Sexualität und Macht.

Zum ersten Mal an diesem Wochenende strahlt die Sonne gleißend hell über der Frankenwarte und kitzelt bei den Frauen neue Energien für diese letzten beiden Stunden des Kongresses frei. Die meisten der Gruppen aus zwei bis zehn Teilnehmerinnen nehmen ihre Flipchart-Plakate mit nach draußen, wo sie binnen einer halbstündigen Diskussion ihre drei wichtigsten Stichpunkte notieren sollen.

Angst vor Macht

So unterschiedlich wie die Teilnehmerinnen und so vielfältig wie die zur Wahl stehenden Themen sind schließlich auch die Diskussionsergebnisse, die jeweils eine Frau aus der Gruppe zusammenfasst. So sehen etwa die Teilnehmerinnen, die Ideen für EU-Projekte und deren mögliche Finanzierung zusammen getragen haben, nicht nur generelle Lobbyarbeit für wichtig an, um gemeinsame Geschlechterpolitik zu machen, sondern auch einen Erfahrungsaustausch zwischen Frauen aus „alten“ und „neuen“ EU-Mitgliedstaaten – vor allem angesichts des zehnjährigen Jubiläums der Osterweiterung, das im kommenden Jahr ansteht.

Dass schon in der Erziehung von Mädchen eine regelrechte Angst vor Macht geschürt wird, kritisiert die Gruppe zum Thema „Den Willen der Frauen zur Macht stärken“. Um sich machtvolle Positionen zuzutrauen, bedarf es einer selbstbewussten Haltung, die für viele Mädchen nicht selbstverständlich ist: „In der englischen Sprache gibt es ein Sprichwort, das empfiehlt, Kritik an sich abperlen zu lassen wie Wasser auf dem Rücken einer Ente“, erklärt ein Gruppenmitglied lachend. „So machen es die mächtigen Männer, davon sollten wir uns also eine Scheibe abschneiden!“

In Verbindung mit Sex(ualität) ist die Frage der Macht noch sensibler: „Frauen machen oft mit, wenn es darum geht, andere Frauen aufgrund ihres Aussehens zu beurteilen“, mahnt Helena Hardikerova, die ihre Gruppenergebnisse präsentiert. „Wenn Frauen beispielsweise tiefe Ausschnitte tragen, aufwändig geschminkt sind oder selbstbewusst mit ihrer Sexualität umgehen, wird immer noch viel zu oft negativ auf ihre beruflichen oder sonstigen Kompetenzen geschlossen.“

Ein „bisschen vergaloppiert“ hat sich die Gruppe zu „Frauen in der Politik“ nach eigenen Angaben. „Wir waren so angeregt dabei, dass wir uns nicht auf nur drei wichtige Punkte konzentrieren konnten“, gibt die Gruppensprecherin lachend zu. Schon die Frage danach, wie der Frauenanteil in politischen Ämtern beziehungsweise bei Mandaten erhöht werden kann, stand vor einem zentralen Problem: „Männer tendieren dazu, männliche Kandidaten zu wählen – Frauen tun das aber auch, also halten männliche Politiker offensichtlich für fähiger und wählen sie deshalb.“ Außerdem wird aus der Sicht weiblicher Politikerinnen oftmals thematisiert, dass Politik ein 'dirty business' ist, in dem männliches Dominanzverhalten honoriert wird; Männer halten längere Redebeiträge, sind in Debatten und Verhandlungen rücksichtsloser. „Viele Frauen wollen oder können sich eine solche 'Ellenbogenmentalität' nicht aneignen und ziehen daher in politischen Zusammenhängen häufig den Kürzeren.“

Erziehung ohne Stereotype

Wie schon an mehreren Stellen zuvor erwähnt, betont auch die Gruppe zu „Gender-Themen in der Erziehungskompetenz“, dass Geschlechterstereotype vor allem in der Kindheit entstehen, weswegen Eltern sensibilisiert werden müssen, welche Bilder von Frauen und Männern sie ihren Kindern vermitteln. Darüber, dass die Farbe rosa bei Feministinnen so verpönt ist und sogar im Ruf steht, Mädchen dumm zu machen, waren einige Gruppenmitglieder allerdings eher empört: „Wir haben die Bedeutung der Farbe dann gegoogelt“, erzählt die Gruppensprecherin augenzwinkernd. „Und siehe da: sie war ursprünglich die Farbe der mächtigen Männer!“

A propos Männer: um die Wahrnehmung von Geschlechterrollen schon in der Kindheit ausgewogener zu gestalten, fordern die Frauen, die sich mit der Qualität der Kinderbetreuung beschäftigt haben, die Zahl der männlichen Pädagogen zu erhöhen. „Es kann aber nicht reichen, einfach mehr Männer in den Erziehungseinrichtungen zu engagieren“, mahnt die Sprecherin der Gruppe. Es muss vielmehr darauf geachtet werden, dass die männlichen Betreuer entsprechend geschult sind, um den Kindern nicht weiterhin einseitige Geschlechterbilder zu präsentieren – vor allem in den prägenden Jahren vor der Einschulung, in denen nach Sicht der Gruppe dringend alternative Betreuungsmöglichkeiten benötigt werden.

Weniger uneinig präsentiert sich diejenige Gruppe, die Ideen zur Reduktion des Gender pay Gap, der ungleichen Bezahlung von Frauen und Männern gesammelt hat: die sehr klar heraus gestellten drei Punkte betonen vor allem die Vernetzung und die gegenseitige Unterstützung zwischen Frauen nach dem Motto „gemeinsam sind wir stark“.

Wiedersehen in Schweden?

Gemeinsame Stärke als Reaktion auf gemeinsame Betroffenheit stellt die Gruppe zur Rolle von Frauen in europäischen Protesten heraus: „Die Krise wirkt sich besonders auf das Leben von Frauen aus“, betont Jasmina Holc aus Slowenien. „Weil in Reaktion darauf die soziale Absicherung reduziert wird oder ganz wegfällt, sind Frauen und Familien viel mehr von Armut und Obdachlosigkeit bedroht.“ Um wirkungsvoll gegen die Sparmaßnahmen der Regierungen zu protestieren, spricht sich die Gruppe einmal mehr dafür aus, transnationale Netzwerke zwischen betroffenen Frauen zu knüpfen.

„Alle diese Probleme anzugehen, ist ein zu hohes Ziel für einen Kongress wie den hiesigen“, kommentiert Zita Küng die Fülle von Ideen und Denkanstößen, die sich auf den Tafeln präsentieren. „Aber sie sind der Beweis für den Reichtum, das Wissen und die Ideen der hier Anwesenden. Wichtig ist, dass wir vernetzt bleiben, uns also gegenseitig auf dem Radar haben – und dass wir die hier gewonnenen Inspirationen mit nach Hause nehmen.“

Eine Möglichkeit, die gereiften Inspirationen erneut zu diskutieren, bietet sich im kommenden Jahr in Würzburgs schwedischer Partnerkommune: 2014 ist Umeå „European Capital of Culture“.


 

 

 

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