Welche politologischen Theorien braucht die Sozialarbeit mit Migrantinnen?
Eine einfache Frage, die eigentlich eine einfache Antwort verdient hätte.
Aber dem ist nicht so, denn es kommt darauf an, die richtige Theorie zu finden. Denn Sozialarbeit braucht dringend Theorien, weil die Theorien notwendige Werkzeuge sind.
Diese Werkzeuge können und sollen die Wirklichkeit erklären. Sie sollen uns die Grundlagen und Grundkenntnisse über das Leben und die Wirklichkeit vermitteln und zugleich Alternativmodelle beschreiben.
Aber wenn das Werkzeug nicht das richtige ist, kann es in die Irre führen.
Die Studierenden / Praktikant_innen und später die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter lernen viele Theorien, die sie später in der Praxis nicht werden anwenden können. Denn diese Theorien basieren nicht auf den Bedürfnissen der Zugewanderten. Vor allem, wenn diese als eine homogene Masse behandelt werden.
Und dennoch! Die theoretischen Grundlagen, die angewendet werden, spielen im Alltag der Sozialarbeit eine wichtige Rolle.
Schwierig wird es daher, die richtigen Theorien zu verwenden.
Nun gehen wir davon aus, dass kein Werkzeug falsch sein kann, sondern die Personen und die Situationen entscheiden, welches Werkzeug wofür einzusetzen ist. Der Gärtner braucht seine speziellen Geräte, Maler, Mechaniker ebenso.
Wir haben eine Fülle von Theorien für die soziale Arbeit zur Auswahl. Und aus dieser Fülle an Theorien müssen Sie die „richtige(n)“ für ihre Arbeit finden.
Manchmal sind alle richtig, aber nicht miteinander vereinbar.
Oft findet die Theorie auch keinen wirklichen Diskurs mit aktuellen Situationen und Problemen. Weil die Wirklichkeit immer ein wenig anders ist als die Theorie und man die Wirklichkeit auch nicht an die Theorien anpassen kann.
Wir lieben es alle, wenn die Theorien umfassend, genau lösungsorientiert, aber einfach sind und vor allem sollen sie auch gefallen.
Sie sollen an Ihnen Freude haben. Ganz einfach - denn wenn sie nicht verstanden werden oder an der Realität vorbeigehen, dann lernt man sie, weil man sie lernen muss.
Später in der Praxis sind sie dann weder einsetzbar noch können sie nützlich sein!
Die Theorien sollen erklären:
Was ist soziale Arbeit mit Migrantinnen?
Was machen die Sozialarbeiter_innen jeden Tag? Trinken sie etwa nur Kaffee und plaudern über Gott und Welt und gehen hier und da mit Menschen spazieren?
Zusätzlich müssen die Theorien Vieles erklären:
Dies beinhaltet Grundbegriffe wie:
Macht, Ökonomie, Gerechtigkeit, Staat, Partei, Institutionen, Partizipation, Öffentlichkeit, Privatheit, Gewalt, Individualität, Geschlecht, Klasse, Schicht, Armut, Ethik, Moral, Verantwortung.
Sie müssen darüber hinaus die institutionellen Grundlagen erklären, wie:
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Rechtsstaat, Wohlfahrtsstaat, man muss vergleichen, welche Staatsform ist besser: Deutschland ist ein Rechtstaat und zugleich ein Wohlfahrtsstaat.
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Die USA sind ein Rechtsstaat mit begrenzen sozialen Leistungen und Japan ist ein Rechtsstaat mit noch begrenzteren sozialen Sicherungen etc.
Außerdem Soziale Bewegungen, Problemdefinitionen vergleichen, Finanzpolitik, Rechtspolitik, Geschlechterverhältnisse, Interkulturelle und Kulturelle Entwicklungen, politische Willensbildung
Es gibt viele Theorien.
Und sie alle sollten unter den Prämissen empirischer Erkenntnisse und methodischer Konzepte kritisch betrachtet werden.
Es reicht nicht, dass wir alle Theorien beherrschen und sie wiederholen. Die Anwendbarkeit ist entscheidend. Sonst ist man nur ein belesener Mensch, der über alles Bescheid weiß!
In politikwissenschaftlichen Theorien kommt ein neuer und wichtiger Aspekt hinzu.
Die Geschlechterforschung trägt dazu bei, dass viele Beziehungen zwischen symbolischer Ordnung, politischen Institutionen, Kommunikationsprozessen und Handeln von Menschen völlig neu analysiert, bewertet und beschrieben werden können.
Grundsätzlich ist die Beachtung des Geschlechts eine Querschnittsaufgabe und muss in allen Sachgebieten der Politikwissenschaft integriert werden. Darüber reden wir alle, aber derzeit ist es noch nicht Mainstream.
Selbstverständlich brauchen wir, solange Gender nicht vollkommen in die Inhalte der Politikwissenschaften integriert ist, Seminare über Theorien zu Geschlechterbeziehungen, Frauenforschung, Gender etc.
Denn das Thema ist in doppelter Hinsicht interessant.
Sozialarbeit ist weiblich und die meisten Klient_innen sind Frauen. Hier kann ich nicht auf die vielfältigen Aspekte der Genderdebatte eingehen, sondern es geht mir darum, kurz darauf aufmerksam zu machen, dass die Theorien die Basis unserer Arbeit sind, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Theorien auch dem Wandel der Zeit unterliegen - auch die Debatte um Gender und Gleichheit, Migration und Integration.
Sie helfen, dass Sie ihre Arbeit
- vor sich
- vor anderen
- vor Klientinnen und Klienten
- vor Arbeitsgeberinnen und Arbeitgebern
- nicht zuletzt vor Geldgeberinnen und Geldgebern
erklären können und zugleich die Bedeutung der sozialen Arbeit in kurzen und klaren Sätzen beschreiben können.
Denn nichts erschwert die soziale Arbeit mehr, als wenn man nicht genau beschreiben kann, was man macht.
Nehmen wir einen Beispiel aus meiner sozialarbeiterischen Tätigkeit:
Die theoretische Diskussion über Erwerbsarbeit und Geschlecht ist mittlerweile ein zentrales Thema der Genderforschung. Während der Zusammenhang von Migration und Geschlecht seit längerem Interesse findet, stehen die Zusammenhänge von Gender, Alter, Migration und Erwerbslosigkeit kaum im Fokus öffentlichen Interesses und sind bisher zu Unrecht auch noch ein wissenschaftlicher Randbereich.
Gerade bei der Vermittlung älterer Migrantinnen setzt man Methoden ein, die zwar richtig sind, aber nicht auf die Bedürfnisse der Klientel angepasst sind. Mit großem Engagement arbeiten die Sozialarbeiterinnen. Dennoch kommt man nicht zum Ziel, diese Menschen optimal zu vermitteln. Denn die Wirklichkeit braucht aus unterschiedlichen Gründen das Können dieser Frauen nicht.
Passende Werkzeuge werden dringend gebraucht
Schwierig wird es also, wenn wir mit unterschiedlichen Lebensentwürfen arbeiten müssen. Bezogen auf das Beispiel: Arbeitssuchende und Migration sind Begriffe, die juristisch klar definiert sind.
Aus der allgemeinen Wahrnehmung betrachtet, wird es schwierig - sie müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erkennen, die Sensibilität für die Emotionen der alten Einwohner_innen haben, die Psychologie der Unternehmen kennen und zugleich die rechtliche Kenntnisse - ihr Handwerkszeug - beherrschen und mit eigenen und fremden Enttäuschungen umgehen können.
Wir kennen unzählige Beispiele, wo die Rahmenbedingungen sehr klar verrechtlicht sind, und dennoch in der Wirklichkeit nicht leicht zu bewältigen sind. Ohne politische Theorien sind wir im wirklichen Leben vollkommen orientierungslos und mit uns unserem Klientel ebenso!
Denn in vielen Gesprächen, die ich mit Arbeitsuchenden aus anderen Ländern hatte, vor allem mit männlichen Arbeitssuchenden konnte ich ihnen zumindest das Gefühl vermitteln, dass nicht sie, sondern die Rahmenbedingungen es sind, die ihnen keine Chance gibt, um sich einzubringen und damit konnte ich große Selbstverzweiflung und Selbstverneinung und weitere physische Probleme bei diesen Menschen verhindern.