Politikwissenschaftliche Perspektiven auf das Thema „Soziale Ungleichheit versus institutionelle Gleichheit“ und ihr Nutzen für die Praxis
Das Thema ist so umfangreich wie die menschliche Geschichte. Es gibt keine Zeit, in der die Politik, Gleichheit und Gerechtigkeit nicht den Menschen beschäftigt haben. Und es gibt kein anderes Thema, das so kontrovers und erbittert diskutiert wurde wie Gleichheit und Gerechtigkeit.
Der Mensch ist nicht gleich aber gleichwertig. Also alle Menschen haben Anrecht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und die Geltung aller Menschenrechte. Daran glauben wir mittlerweile weltweit. Natürlich mit unterschiedlichen Herangehensweisen.
Die empirische Untersuchung der Ungleichheit, welcher Art auch immer, ist der zentrale Bestandteil der Soziologie von Anfang an. Die Ungleichheit hat viele Dimensionen, worauf ich hier im Einzelnen nicht eingehen kann.
Meine vorgestellte These lautet, dass die Fragen der sozialen Gerechtigkeit immer mit Situationen sozialer Gleichheit verknüpft sind.
Institutionelle Gleichheit ist aber als Profession in der menschlichen Geschichte ganz jung und muss sich zwischen allen Themen und Entwicklungen bewegen und positionieren.
Ein Widerspruch besteht z.B. darin, dass von der institutionellen Gleichheit Neutralität erwartet wird, aber es nicht möglich ist unparteilich Arbeit zu leisten.
Institutionelle Gleichheit ist auch durch die Institutionalisierung in ihrer Arbeit kanalisiert und ihr Handeln ist Regeln unterworfen, die ein Machtverhältnis innehaben. Es ist auch an sich sehr spannend, sich damit zu befassen.
Ich kann die einzelnen politischen Theorien über Machtverhältnisse, Institutionen, Handeln und Verhalten im soziologischen Sinne nicht aufzählen und beschreiben, wie und welche Theorien und Subtexte welche historischen Einflüsse auf unser Leben haben.
Aber ich kann mit Sicherheit behaupten, dass von Sokrates bis Kant, Hegel und Marx sich unendlich viele mit den Themen Politik, Gerechtigkeit und Gleichheit beschäftigten.
Lassen Sie mich nur kurz, bevor ich auf meine These eingehe, anhand von Cicero, einem klassischen römischen Politiker und Juristen, aus seinen sechs Büchern De re publica Einiges erklären. In Buch 1 und 2 behandelt er die Bestimmung der res publica und die Diskussion der politischen Ordnungsformen.
In Buch 3 und 4 die Gerechtigkeit und die sittlichen Grundlagen der res publica und ihrer Institutionen.
In Buch 5 und 6 den ordnungsstiftenden Lenker des Gemeinwesens (rector rei publice) und die Verheißung einer vollendeten geistigen Existenz jenseits dieser Welt, welche die großen Männer als Lohn bekommen werden.
Nichts anderes findet sich in Bibel oder Quran und den anderen großen Ideen/Lehren. Die Frage nach der besten, allen Menschen angemessenen Lebensform ist und bleibt immer aktuell. Dabei wird auch wieder spannend, was als gerecht und gleich in welchen politischen Formen favorisiert wird.
Es gibt unterschiedliche Wege, politische Ideen oder Theorien zu betreiben. Man kann einzelne Epochen und Systeme darstellen oder im Kontext der Weltgeschichte oder wie bei Religionen Geschichte von Anfang bis zum Ende beschreiben und vorgeben.
Wir könnten an das Thema Ungleichheit naiv herangehen und einzelne Merkmale beschreiben. Geschlecht, Alter, Religion, Beruf, etc. Aber wir gehen nicht naiv und unbedarft an eine Sache heran. Wir sind durch unsere Sozialisation vorgeprägt.
Karl Mannheims Text von Ideologie und Utopie kreist wie fast bei allen seiner Arbeiten um das komplexe Verhältnis von Denken, Gesellschaft und Politik.
Politik definiert angemessene Lebensform in unterschiedlichen Arten und Weisen.
Jede philosophische Lehre kann und muss durch Ordnungspolitik definiert werden. Aber was ist die Ordnungspolitik und was hat sie mit Gleichheit zu tun?
Wir haben alle die Grundintention, uns leidenschaftlich von wahrgenommener Ungleichheit hinaus auf Gleichheit zu denken. Die Grundideen der französischen Revolution Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit teilen wir alle, aber mit einem Fragezeichen.
In unterschiedlichen Facetten und Schattierungen befassen wir uns mit allem, was wir als ungleich sehen. Jeder hat andere Vorstellungen davon, was hier die Ungleichheit verursacht hat.
Jeder hat mehr oder weniger andere Perspektiven auf die Ungleichheit und zugleich eine andere Idee dazu, was diese Ungleichheit verursacht hat und wir entwickeln auch unterschiedliche Ideen und Perspektiven, wie man die Ungleichheit verändern kann.
Es gibt viele verschiedenen Sichtweisen und Theorien, die uns auf den ersten Blick banal und alltäglich vorkommen. Dennoch sind es Wahrnehmungen aus der Realität, die nicht zu verachten sind. Aber welche hilft Ihnen in ihrer Arbeit? Wir brauchen Institutionen, die diese Sichtweisen und Wissensressourcen so regeln, dass keine große Machtasymmetrie entsteht und sie zugleich nutzbar machen.
Institutionelle Gleichheit wird oft als menschenfreundlich im Sinne von rücksichtsvoll, gerecht, unterstützend von den meisten Menschen verstanden - Gutes tun für Menschen.
Aber die institutionelle Gleichheit ist in der Moderne ein Beruf und wird im Rahmen von Organisationen und Institutionen und Einrichtungen geleistet, dabei werden Sachverhalte (Probleme) formalisiert und bearbeitet.
Der verstorbene Niklas Luhmann, einer der prominentesten Sozialwissenschaftler, der eigentlich ein Rechtswissenschaftler ist, hat in einer interessanten Weise die theoretischen Ansätze von Parsons weiterentwickelt.
Im Mittelpunkt von Luhmanns Theorien steht die moderne Gesellschaft als ein komplexes Geflecht von funktional differenzierten Teilsystemen. An diesen Teilsystemen wie Wirtschaft, Recht, Politik, Bildung etc. partizipieren die Individuen über Rollen, die einander nicht ausschließen.
Und die institutionelle Gleichheit hat die Aufgabe auf die Inklusion aller Menschen hinzuarbeiten.
Für Habermas ist das Handeln der zentrale Bestandteil der sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Theorie. Handeln ist ein Verhalten, das von Normen und Regeln geleitet wird und sie haben einen Sinn. Der Sinn ist die Beziehungen der handelnden Individuen zu regeln.
Die Frage, die alle Philosophen und Politikwissenschaftler und Soziologen beschäftigt, ist die, wie viel Handlungsspielräume jeder Mensch innerhalb der Institutionen hat, damit eine Machtasymmetrie vermieden wird.
Macht ist nach der Definition von Max Weber die Fähigkeit einer Person, das Handeln anderer Auch gegen deren Willen im eigenen Interesse zu lenken.
Die politischen Machtverhältnisse sind in Institutionen verrechlicht und lenken und bestimmen die Verhältnisse.
Ich meine aber nicht, dass die Institutionen starr und unveränderlich sind, aber langwierig.
Die ungleichen Machtverhältnisse und der ungleichen Zugang zu den Ressourcen sind weltweit Kernfragen der Ungleichheitsdebatte in Politik- und Sozialwissenschaft.
Und ich möchte hier zwei neue Begriffe, die seit einiger Zeit der Hauptbestandteil der politischen Diskurse sind, aufgreifen und sie kurz aus unterschiedlichen Perspektiven streifen: Die Gender- und Diversität- Thematik. Diese Themen gewinnen immer mehr an Aktualität.
Im Vergleich mit den herkömmlichen Gleichheitskonzeptionen, die meist auf bestimmte männliche Weltanschauungen und Bedürfnisse begründet waren, sind sie neue, grundsätzliche Ideen.
Die Aufklärung postuliert die Gleichheit und Brüderlichkeit eher unter den weißen katholischen Männern. Ein Gemeinwesen mit bestimmter philosophischer und theologischer Weltvorstellung.
Der Marxismus geht vom Klassenkampf und dem Sieg der Arbeiterklasse in Hochindustrieländern aus.
Nietzsche geht von Kategorien und Unterscheidung von „gut“ und „böse“ <
Jean-Jacques Rousseau, der in seinem politischen Buch Emile von einem Gesellschaftsvertrag spricht, der den lasterhaften und egoistischen Gesellschaftsbürger zum tugendhaften Staatsbürger entwickelt und von der kollektiven Entäußerung einer bestimmten Gesellschaft spricht.
Und ich kann hier eine Reihe von politischen Theorien auflisten, die ohne Ausnahme ihre Sichtweise gut begründet haben und ihre prägenden Einflüsse ohnehin auf Formierung und Entwicklung der hiesigen Werten und Normen und damit auch auf die institutionelle Gleichheit haben und dennoch sind sie für die institutionelle Gleichheit in Zukunft nicht mehr ausreichend.
Ich möchte nur kurz auf die beiden neuen Theorieansätze eingehen und ich denke, dass die neuen Theorieansätze klarer, universeller und ganzheitlicher sind, als herkömmliche politische Theorieansätze.
Schauen wir uns die Grundsätze von Gendertheorie an.
Mit einem kritischen Blick macht die Genderforschung auf ein entscheidendes Merkmal aufmerksam, nämlich die reale Differenz zwischen der Gleichheitssemantik und dem Gleichheitsmechanismus.
Der Kampf um die Sprache ist der Kampf um die Definitionen. Wer die Wahrnehmungen von sozialem Handeln definiert, der regelt auch die Machtverhältnisse.
Geschlechtergleichheit hat drei Dimensionen im Blick.
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Das individuelle Handeln, d.h. auf der persönlichen Ebene
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und in den Beziehungen,
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Absolute Gleichheit: in philologischer Ebene, damit meine ich Gleichheit besteht darin, wenn jede Zufallsstichprobe aus der Mitgliedschaft einer Gesellschaft denselben Anteil an Ressourcen erhält, wie jede andere Zufallsstichprobe.
Der amerikanische Philosoph Michael Walzer (1992) differenziert Gerechtigkeit in Bezug auf verschiedene Bereiche
- Sphären der Gerechtigkeit, Teilhabe an materiellen Ressourcen, Bedürfnisbefriedigung (Welfare, Needs).
- Mitgliedschaft, polit. Partizipation (Membership)
- Sphäre der Ämter und Positionen (Office): Teilhabe hängt von entsprechenden öffentlichen Prozeduren ab, bewertete Qualifikation (nach Ricoeur 1996, S. 305f).
In meiner alltäglichen Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte werde ich oft mit der Äußerung konfrontiert, dass Männer und Frauen gleich sind. Rechtlich, politisch und gesellschaftlich sind solche Äußerungen Konsens. Keiner/ keine wird mittlerweile eine andere Meinung vertreten.
Die Realität in den Institutionen sieht aber anders aus. Wenig Frauen in Führungspositionen, männlich geprägte Arbeitszeiten, Sprache, Rituale und Umgangsformen, Haushaltsentwürfe, die die Gewichtung auf Ideen und Lebensbedingungen der Männer legen und Beschlüsse im Sozialausschuss, die für ihre Arbeit die entscheidenden finanziellen und personellen Rahmen schaffen, sind nicht von Frauen geschaffen.
Sie folgen auch nicht weiblichen Weltkonstruktionen, die selten bekannt werden, weibliche Sprache existiert offensichtlich nicht und die Frauen müssen sich an die männlichen Regeln anpassen. Eine automatische Ungleichheit symbolischer Ordnungen, die durch bestimmte Mechanismen kollektiver männlicher Deutungsmuster alles regelt.
Ich kann Ihnen eine Reihe Beispiele dafür nennen, dass gerade da, wo Frauen ihre Profession ausüben, meist keine Spur der Gleichheit zu finden ist.
Die Gender Debatte prangert die dichotome Welt der Geschlechter an und setzt die Gleichheit, unabhängig von Differenzen, als Voraussetzung des sozialen Handelns und bringt damit eine neue Entwicklung in politische Theorien.
Nicht männliche und nicht weibliche Perspektiven sind für das Gemeinwesen entscheidend, sondern menschliche. Das hört sich einfach an, aber in der Realität stoßen wir wieder an die Grenze der festgefahrenen Verhältnisse.
Die Gender-Theorieansätze bringen einen bleibenden Wandel und Partizipation in allen Bereichen. Die Theorien und Öffentlichkeitsarbeit ändern die Wahrnehmung, aber noch nicht die Strukturen.
Das bedeutet Ihr Handeln entscheidet, ob dieser Wandel tatsächlich zur Gleichheit führt oder eher ein Sturm im Wasserglas bleibt.
Da beginnt die harte Arbeit, wenn Sie für die weitere Finanzierung der Frauenhäuser kämpfen müssen, Organisationen und Personen unterstützen wollen, die sich gegen Gewalt einsetzen oder Frauen aus der Arbeitslosigkeit heraushelfen wollen, damit sie sich selbständig finanzieren können und ich kann viele Beispiele nennen, wo das Thema Gendergleichheit semantisch als Bestandteil aller politischen Entscheidungen gilt, die Gleichheitsmechanismen aber keine Anwendung finden.
Der zweite Theorieansatz, der aus meiner Sicht andere Theorieansätze kompiliert, ist der Diversitätsansatz.
In der Diversity-Debatte gehen wir auf eine Realität ein, die eigentlich nicht mehr zu leugnen ist. Man hat immer vom Universalismus bestimmter Werte gesprochen und die partikularen Interessen im Auge gehabt.
Dies gilt nicht nur in internationalen Beziehungen, sondern auch in nationalen Ressourcenteilungen. Die Tatsache, dass mehr als 20% der Mitglieder dieser Gesellschaft allein aus Einwandererfamilien kommen, wurde jahrzehntelang völlig vernachlässigt und Ihnen das Recht auf Teilhabe in institutionellen Ressourcen aus unterschiedlichen Gründen verweigert.
Sie wurden und werden in der Rechtsordnung als nicht gleichwertig behandelt. Einzelne Aspekte sind Ihnen bekannt. Gastarbeiter, Flüchtlinge, Illegale, etc. Selbst da, wo diese Aspekte thematisiert wurden, ging dies von einer Herrschaftsperspektive aus.
Man hat über sie bestimmt, aber sie konnten und können nach wie vor nicht bestimmen. Nicht einmal semantische Gleichheit existiert.
Diversitätstheorie befasst sich nicht mehr mit den Unterscheidungen, wer wo wann welche nationalen Identität, sexuelle Identität oder körperliche Merkmale besitzt, sondern welche Fähigkeiten jedes Individuum anbieten kann.
Zwar kommt die Diversity-Debatte aus unternehmerischen Interessen aus den USA, dennoch revolutioniert sie neben der Gender-Debatte das Handeln und die Beziehungen der Menschen weltweit.
Der Universalismus und partikulare Interessen sollen in die Institution implementiert werden. Und sie sind die Herausforderungen, die Sie mit der Hilfe des Theorieansatzes bewältigen müssen.
Die Institutionen basieren auf Normen und Werten, die die beiden Theorien nicht kannten, nicht wollten oder nicht durchführen wollten.
In der Frauen- und Genderforschungsdebatte wird aber auch über die Gefahren der Diversity diskutiert.
Diversity hat noch keine ausgereiften theoretischen Grundlagen und es ist noch nicht über den Subtext nachgedacht worden.
Gerade für die alltägliche Praxis ist dies aber unverzichtbar. Dennoch gehe ich von der These aus, dass die institutionelle Arbeit in Zukunft durch die Arbeit mit Diversität eine Fülle von Empirischen Erfahrungen sammeln kann und wird, die für die weitere Theoriebildung außerordentlich wichtig sind.
Es ist auch genauso längst erkannt, dass die institutionalisierte Gleichheit im Rahmen des sich funktional ausdifferenzierenden Systems kommunaler Finanzpolitik in einer Hierarchie eingebunden ist und die Finanz- und Strukturkrise des Sozialstaates die personenbezogene Fortkommen der Institutionen und ihre Mitarbeiterinnen längst erreicht hat und ihre Arbeit einer Finanzierbarkeitsüberprüfung unterzogen wird.
Dennoch sollte man sich trozdem und gerade deshalb damit befassen
1- welche Selbstdefinition hat die Gesellschaft zurzeit?
2- welche Werte und Normen habe ihre Gültigkeit?
3- wie kann die institutionelle Gleichheit zwischen ungleichen Entwicklungen mit Hilfe der Gender und Diversität- Theorien Gleichheit schaffen, wenn die Verhältnisse, Institutionen und Ressourcen nicht gleich geteilt sind?