Menü

#gleichberechtigt

Über Kriege

Kriege und Bürgerkriege tragen zur Patriarchatsverstärkung bei - Aufsatz der Gleichstellungsbeauftragten Dr. Zohreh Salali.

Brutal, männlich, gewalttätig, frauenfeindlich, irrational, aufbrausend, rückständig- ein finsterer Firnis archaischer Regeln. Der Rausch der Gewalt und exzessive Mordlust ist das Bild vom Orient, das seit einiger Zeit immer intensiver und ausführlicher im Westen diskutiert wird.

Es gibt keine Zeitung, keine Fernsehsendung, kein selbsternannter Orient- Experte, die nicht ihre Meinungen bei jeder Gelegenheit kundgeben. Man versucht alle Bausteine der Geschichte aus 1001 Nacht aus Nordafrika bis Westasien zusammenzusetzen, um ein gemeinsames kriegerisches Bild dieser Region in dem alles männlich ist, zu plausibilisieren. Frauen sind nur Attrappen in einem brutalen Szenarium.

Ich habe auch nicht vor, hier mit den Kriegen und Bürgerkriegen, Aufständen, und Widerständen, oder die Renaissance unterschiedlicher ethnischer, ideologisch-politischen, religiös oder religiöspolitschen, regional- oder national- international-orientierten Interessengemengelage auseinanderzusetzen oder über den Sinn und Unsinn des Krieges, Recht oder Unrecht, Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der einen oder anderen Gruppe zu fachsimpeln und über die Zukunft der Welt zu spekulieren.

Krieg ist immer brutal, unmenschlich, existenzvernichtend und mit Lug und Trug behaftet. Plünderung, Vergewaltigung und die Ausradierung ganzer Städte sind der Hauptbestanteil aller Kriege und machen aus normalen Männern Tötungsmaschinen. Er begleitet aber die patriarchalische Kultur, seit der Dominanz des Patriarchats.

Warum? Weil Mann die Gewalt verwendet, um den Willen des Gegners zu brechen, ihn vollkommen widerstandsunfähig zu machen, um seinen Gegner zur Vollstreckung des eigenen Willens zu zwingen. Dazu ist dann jegliches Mittel legitim.

Das Buch „vom Kriege“ vom preußischen General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz ist das bekannteste Werk über die Gründe eines Krieges und äußerst empfehlenswert.

In diesem Kontext möchte ich behaupten, dass alle Konfliktakteure die Konflikte für ihre eigenen persönlichen Gewinn-, Ausbeutungs-, Herrschafts- und Macht-Obsession instrumentalisieren und mit einer eindimensionalen Eindeutigkeit („Wir gegen Andere“) rasch und mühelos unter denjenigen Sympathisanten und Aktivisten finden, die die Meinungen und Neigungen der Autoritätsgestalten entweder familiär, politisch oder gesellschaftlich bedingt brav antizipierend zu erfüllen gelernt haben. Dies heißt gemäß der Erklärung von Habermas, dass sie keine Fähigkeit zu negieren und keine eigenständige Kompetenz ausgebildet haben (kommunikatives Handeln).

Wenn wir Krieg als Mittel zur Sicherstellung eigener Interessen mit allen Mitteln und mit eigenständiger brutaler Rationalität definieren, dann können wir die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern besser als Herrschaftsverhältnis begreifen.

Im Konzept des Patriarchats ist Dominanz das Symbol der Männlichkeit und zwischenmenschliche Beziehungen müssen zwangsläufig in einer Hackordnung gesehen werden.

In patriarchalischen Kulturen sind auch die sozialen Ordnungen und Organisationen eine Spiegelung der Dominanz und Unterwerfung.

Der Mensch soll lernen, soziale Systeme, welche die Macht zum Ideal erheben, zum eigenen Ideal erklären und das Streben danach als Ziel - als heilige Aufgabe, als Zeichen des Glücks und diese als heldenhaft der eigener Gruppe zu repräsentieren.

Je intensiver die Verinnerlichung solcher sozialen Machtsysteme, desto größer wird die Chance, selbst die Dominanz zu erlangen. Die Ehrfurcht vor dem Mysterium „Macht“ wird zur Obsession.

Je großartiger die eigene Gruppe betrachtet wird, umso größer wird die Entmenschlichung der Gegner. Dann ist es Armeen, Gerichten und Henkern, Kriegern, Abenteurern, Folterern und Plünderern, Vergewaltigern und Lustmördern gestattet, den Helden und Repräsentanten des eigenen Systems zu gehorchen und zu huldigen, dann dürfen die Mitglieder umso hemmungsloser, willkürlich, ungerecht und grausam ihre Macht über Leben und Tod des Gegners ausüben.

Hobsbawm hat in sein ideologiekritisches Konzept mit dem Begriff „The Invention of Tradition“ einen neuen Topos in der Wissenschaft für Autoritätsanalyse entwickelt. Er vertritt dabei die Auffassung: Man konstruiert in ihrer jeweiligen Gegenwart eine bestimmte Tradition, die aber in eine bestimmte Vergangenheit zurückprojiziert werden soll. Diese fiktiven Geschichten dienen dazu, bestimmten Normen und Strukturen gegenüber einen wirklichen Wandlungsdruck in einer Gesellschaft zu bekräftigen.

Solche fiktiven Traditionen führen zugleich zur Festigung der Beziehungen der Mitglieder einer Gemeinschaft, die sich mit und über diese Tradition oft überlegen fühlen und für die nachkommenden Generationen werden die erfundenen Geschichten und Traditionen als Allegorie der historischen Tatsache akkreditiert und infolgedessen wird eine Fiktion zur Realität.

Das Töten im Krieg wird göttlich sanktioniert oder für hehrere Ziele wie Nation, Ehre, Verteidigung, Schutz der eigenen Gruppe legitimiert. Entweder Wir oder die Anderen. Eine eindimensionale Eindeutigkeit mit historischen Originalitätsbehauptungen - mit Denkern und Lenkern, Priestern und Propagandisten, Wächtern und Ermahnern, Weisen und Beschwörern, Tricksern und Täuschern etc.

Es besteht ein komplementäres Verhältnis zwischen Oben und Unten.

Ein System von Überwachung und Repression in beide Richtungen, das die Interessen von Oben und Unten garantiert, solange sie innerhalb des Systems angepasst agieren werden.

Foucault betrachtet dieses Verhältnis als nicht nur unterdrückend, sondern auch produktiv.

Er benennt drei Komponenten dafür

  • Einfügung der Individuen in ein nach außen abgeschlossenes Gefüge bei gleichzeitiger Kontrolle aller Bezugnahmen nach Außen. Langsame aber sichere absolute geistige oder sogar körperliche Abschirmung.

  • Parzellierung der Individuen, jedes Individuum bekommt einen Platz und feste Position und Aufgaben, die seine Kontrolle noch effektiver ermöglichen und es zu mehr Leistung motivieren.

  • Hierarchisierung, die Individuen bekommen Rang und Status, die auf der normativen Grundlage der hohen Produktivität, der totalen Identifikation mit den Zielen der Gruppe basieren und die Klassifikation innerhalb der Gruppe anordnen und darüber die Nähe und Distanz der Mitglieder der Gruppe zueinander bestimmen.

 

Hinterfragen und das Wissen über das Machtsystem („The Invention of Tradition“) gilt als üble Ungehorsamkeit gegen die Obrigkeit, sowie eigene Vorstellungen von Gut und Böse als Verrat gewertet werden.

Die Dominatorischen Paradigmen verbunden mit totalitärer Macht-Gesinnung fordern blinden Gehorsam. Nur der, der gehorcht, ist fähig die heiligen Ziele zu erreichen, sonst ist der Verrat nicht weit.

Allein die Angst davor; motiviert die Mitglieder zu noch intensiverer Identifikation mit dem Ideal der eigenen Gruppe, um innerhalb der Männer- Gesellschaft nicht als Verräter(Versager) gebrandmarkt zu werden.

Gerade Kriege und Bürgerkriege tragen dazu bei, dass solche heroischen Fiktionen als Patriarchatsverstärker zementiert werden - und nicht nur in einer bestimmten Region, Kultur, oder Tradition, sondern die Menschheitsgeschichte umschließend.

Die dominante Macht des Patriarchats ist nicht allein ein Spezifikum des Orients oder der islamischen Kulturen. Es ist klar, dass die starke Dynamisierung der Verhältnisse in diesen Kulturen nach der Beendigung des kalten Krieges alle vorhandenen Konflikte und Kontroversen aufbrechen lassen hat, es bedeutet aber nicht, dass die Entwicklungen nur in eine Richtung gehen, nämlich: männlich, kriegerisch, islamisch, brutal.

Youssef Courbage, der Forschungsdirekor am Institut National d'Etudes  Demographiques in Paris und Berater für verschiedene internationale Institutionen wie die Unesco, die Europäische Union und den Europa-Rat, sowie Emmanuel Todd, Absolvent vom Institut d'Etudes Politiques de Paris und promoviert in Cambridge in Geschichte und Literaturkritiker für "Le Monde", haben in ihrem gemeinsamen Buch „Die unaufhaltsame Revolution“ mit modernen empirischen Methoden folgendes Fazit herausgearbeitet: „die Werte der Moderne verändern die islamische Welt“.

Und diese Veränderungen sind weiblich. Die Modernisierung der Strukturen wird von Frauen und besonders durch ihren Drang zur Bildung florieren. Tatsache ist auch, dass Teile der Männer, die schon durch den Druck der Globalisierung sich zu den Verlierern der Moderne betrachten, auf der Suche der „Wiederherstellung“ ihrer „fiktiven Macht“ in der fernen Vergangenheit zu allen Mitteln greifen.

Gerade Frauen im Allgemeinen und die gebildeten Frauen insbesondere sind die ersten und wichtigsten Hassobjekt solcher radikalen Versuche, die Zustände der „paradiesischen Vergangenheit“ wiederherzustellen - und das nicht, weil Frauen schwach und widerstands-unfähig sind, sondern weil die Frauen verstanden haben, dass die Moderne ihre Chance ist, sich zu emanzipieren. Das historische Joch zu entfesseln und endlich über sich und ihre Welt mitzubestimmen.

Der Kampf um die Eroberung der Frauen ist entscheidend für die Zukunft dieser Region.

Der Westen macht einen strategischen Fehler, wenn er die Frauen in diesem Kampf allein lässt oder sie sogar missachtet.

Beim neuen Avicenna-Studienwerk, werden mehr Anträge von Musliminnen für Promotionen in allen Fachdisziplinen gestellt als von Männern, gerade die jungen Musliminnen mit Kopftuch, die durch das Studium in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, sich selbst mit den Augen der anderen sehen können und rationale Distanz zu Glaubensfragen entwickeln und innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft bleiben und den Druck zur Veränderung überall beschleunigen, sollen nicht der Missachtung und dem Spott des Westen unterworfen sein, sondern sie sollten bestärkt werden, selbstbewusst und intensiv, alte Männer-Strukturen hinter sich zu lassen.

Das Netzwerk der muslimischen Wissenschaftlerinnen in Europa „Verband der selbständigen Musliminnen“ bekommt kaum Beachtung. Dafür muslimische Verbände, in welchen die alten Männer- Strukturen nach wie vor dominieren.

Selbst als die erste Frau( Mariam Mirzakhany) aus dem Iran, als erste und einzige Frau in der 78 jährigen Geschichte der Mathematik-Olympiade den ersten Preis gewonnen hat, erweckt kaum das Interesse der westlichen Medien. Eine Frau, die mit 31 Professorin für Mathematik an der University of Oxfordexterner Link und Stanford Universityexterner Link ist!

Der herbeigewünschte Kulturkampf und die Bilder aus dem fernen Irak, mit den blutigen Händen der bärtigen Männer, belebt die alten Feindbilder zwischen dem Orient und dem Okzident(The Invention of Tradition“).

Die Wissenschaftlerinnen, zehntausende Akademikerinnen und erfolgreiche Frauen mit oder ohne Kopftuch sind langweilig.

Diese Be- oder Missachtung muss geändert werden.

>>> zurück