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In Gedenken an Theresia Winterstein

Straße erinnert an dunkelstes Kapitel der Stadtgeschichte und eine starke Persönlichkeit

Theresia Winterstein Straße
Theresia Winterstein Straße (c) Georg Wagenbrenner
Ein besonderer Tag in der bewegten Geschichte der Familie Winterstein: Maria-Theresia Winterstein, Rainer Winterstein, Antonia Winterstein, Rita Prigmore, Oberbürgermeister Christian Schuchardt, Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Erich Schneeberger, Vorsitzender des Bayerischen Landesverbands, Margitta Steinbach von Amcha Deutschland e.V. (von links).
„Indem wir der NS-Opfer ehrend gedenken, geben wir ihnen die Würde zurück, die ihnen von den Nazis brutal genommen wurde“, erklärte Oberbürgermeister Christian Schuchardt anlässlich der Enthüllung des Schilds „Theresia-Winterstein-Straße“. Die Sängerin, Tänzerin und später engagierte Streiterin für eine Wiedergutmachung an den Sinti und Roma gehörte zu den Überlebenden des Porajmos, dem Völkermord an den Sinti und Roma. Es blieben bei der 2007 in Würzburg gestorbenen Sintezza lebenslang Narben und Traumata, sie hatte aber auch die Kraft, ihre Geschichte weiterzuerzählen und aufzurütteln.

Die Familiengeschichte der Wintersteins steht exemplarisch für den Völkermord an den Sinti und Roma. Viele von Theresia Wintersteins nächsten Verwandten starben im KZ Auschwitz-Birkenau. Ihre 1943 geborene Tochter Rolanda starb hingegen mitten in Würzburg, in der Kinderklinik. Am neugeborenen Mädchen, wie auch an ihrer Zwillingsschwester Rita, wurden riskante medizinische Versuche durchgeführt, die auch den Tod in Kauf nahmen. Die Nazis entschieden, gestützt auf ihre rassistische Ideologie, über den Wert und die Existenzberechtigung menschlichen Lebens. Diese Entscheidungen trafen auch Mediziner vom Schlage eines Werner Heyde, der in Würzburg Klinikdirektor und Professor für Neurologie und Psychiatrie war und in der Reichshauptstadt die NS-Euthanasie-Verbrechen verantwortete. Minderheiten und Patienten wurden in diesem Unrechtsstaat auch von Medizinern als „lebensunwert“ betrachtet, was einem Todesurteil gleichkam. Bei Zwillingen kam man zu einem milderen Urteil; diese konnten hingegen für pseudowissenschaftliche Studien noch „wertvoll“ sein – so die perfide Logik im NS-Staat. Man ließ Theresia Winterstein ihre Kinder austragen unter der Auflage, sie wenig später abzugeben. 

Eine Mutter muss also den unfassbar schweren Gang antreten und ihre vier Wochen alten Babys den gleichen Medizinern ausliefern, die sie und weitere Familienangehörige der Zwangssterilisation unterzogen haben. Die beschriebene Mutter ist Rita Progmores Mutter. Das Mädchen, das die nächsten Tage nicht überleben wird, ist ihre Zwillingsschwester Rolanda. Ihre Mutter findet sie tot mit einem Kopfverband, nachdem sie sich Zutritt zur Klinik verschafft hatte. Rita wird von der Mutter befreit, auch bei ihr bleiben nach dem Klinikaufenthalt eine lange Narbe am Kopf und verschiedene Beeinträchtigungen zurück. Diese unfassbare Konstellation schildert Rita Prigmore in einem Zeitzeugengespräch im Ratssaal des Würzburger Rathauses vor Berufsschülerinnen und Berufsschülern wenige Stunden vor der Straßenumbenennung

Mutter und Tochter werden nach dieser furchtbaren Trennung ein Leben lang ganz besonders aufeinander aufpassen. Durch die Stärke der beiden Persönlichkeiten, das ist das Tröstende an ihrem Bericht, werden sie sich in den nächsten Jahrzehnten viel Lebensfreude zurückerobern. Und beide werden den Kampf für Entschädigungen der Opfer und gegen das Vergessen dieser Untaten aufnehmen. So wie nun auch eine Straße beständig an Theresia Winterstein erinnert. In ihrer Heimatstadt, denn so habe sie Würzburg - allem erfahrenem Unrecht zum Trotze - immer gesehen. Hier trat sie bis zum Berufsverbot im Theater auf und erfreute sich großer Beliebtheit und hier boxte sie sich und ihre Familie in der Nachkriegszeit im Wohnwagen am Main oder in den einfachsten Zellerauer Barracken als Textilhändlerin durch.

Das junge Publikum im Ratssaal verfolgte gebannt das Gespräch zwischen Rita Prigmore und Jonathan Mack, Wissenschaftlicher Leiter beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Wer mehr über das Leben von Rita Prigmore und ihrer Mutter Theresia Winterstein erfahren möchte, findet in der Mediathek des Bayerischen Rundfunks einen vielleicht ähnlich intensiven Vortrag. In der Reihe „Zeugin der Zeit“ gibt es den Mitschnitt eines früheren Gesprächs mit Rita Prigmore unter dem Titel „Die Welt ist wunderlich“. Ergänzt werden ihre Erinnerungen und Appelle an nachfolgende Generationen hier durch zahlreiche Fotos und biografische Angaben. Das Stadtarchiv veröffentlichte zudem bereits 2008 „Dieselben Augen, dieselbe Seele. Theresia Winterstein und die Verfolgung einer Würzburger Sinti-Familie im Dritten Reich" von Roland Flade. 

Das aktuelle Gespräch im Ratssaal organisierte die Gleichstellungsstelle der Stadt zusammen mit dem Würzburger Ombudsrat. Oberbürgermeister Schuchardt gratulierte der 80-Jährigen bei diesem Besuch nachträglich zu ihrem runden Geburtstag in diesem Monat und sagte in seinem kurzen Grußwort, dass das Thema heute schlicht die Menschenwürde sei. Leider seien die Themen Rassismus, Vorurteile und Bedrohungen von Minderheiten heute noch genauso aktuell wie vor zehn Jahren als er Prigmore bei ihrer Auszeichnung mit dem Würzburger Friedenspreis kennengelernt habe.

Prigmore war schließlich auch am Nachmittag Ehrengast bei der kleinen Feierstunde zu Ehren ihrer Mutter. Weitere Familienangehörige, Weggefährten und viele Stadtratsmitglieder waren ins Frauenland gekommen, wie auch der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, Erich Schneeberger, der Vorsitzende des bayerischen Landesverbands, Dr. Niels Weise vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Kulturreferent Achim Könneke, Stadtarchivleiter Dr. Axel Metz und natürlich auch die direkte Nachbarschaft. Mit der Straßenumbenennung ging ein rund fünf Jahre langer Prozess der Meinungsbildung in der Erinnerungskultur zu Ende beziehungsweise es folgt nun ein neues Kapitel: Als 1951 die Straße im Frauenland den Namen Hermann Zilchers erhielt, würdigte man zweifellos die Leistungen des Komponisten und Musikpädagogen, die Verdienste des damaligen Leiters des Bayerischen Staatskonservatoriums und Begründer des Würzburger Mozartfestes. Mit Zilchers Rolle in der NS-Zeit setzte man sich zu diesem Zeitpunkt aber nicht kritisch auseinander. 

Nach intensiver Befassung m Stadtrat wurde die Umbenennung am 20. Oktober 2022 beschlossen. Die Entscheidung über die Umbenennung und die Entscheidung über den neuen Namen der Straße solle man versuchen, möglichst zu entkoppeln, um beiden Personen gerecht zu werden. Schuchardt freute sich, dass mit Theresia Winterstein nun nicht „nur“ einem NS-Opfer die Ehre zu Teil wurde, sondern einer Persönlichkeit, Künstlerin und Bürgerrechtlerin und somit einer Würzburgerin mit einer großen Lebensleistung insgesamt.

Romani Rose würdigte in seinem Grußwort auch den langen Weg, den Roma und Sinti nach 1945 noch gehen mussten, bis ihr Völkermord in der Bundesrepublik vollständige Anerkennung fand und auch Entschädigungen gezahlt wurden. Theresia Winterstein war in diesen Jahren eine Mitstreiterin. Aber auch wenn sie eine ausgewiesene Kämpfernatur gewesen sei: „Theresia Winterstein streckte immer die Hand aus für Verständigung und Versöhnung“. Rose dankte der Stadt Würzburg und dem Würzburger Stadtrat, dass sie sich mit dieser besonderen Ehrung diesem Teil der Geschichte stellen.

Rita Prigmore-4Bewegende Schilderungen im Ratssaal. Rita Progmore im Gespräch mit Jonathan Mack. Foto: Georg Wagenbrenner

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