Gedenken an Pogromnacht: Mit Bildung und Begegnungen gegen Vorurteile und Hass ankämpfen

Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zeichnete zu Beginn seiner Rede bei der Pogrom-Gedenkveranstaltung ein abstraktes Bild von Zerstörung, Blut und eskalierender Gewalt gegen Menschen und schob hinterher: „Man könnte mit dieser Beschreibung, die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 meinen, man könnte aber auch den Angriff auf israelitische Fußballfans gestern in Amsterdam meinen, oder man könnte den Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 meinen. Es ist dieselbe Handschrift.“

Alle Redner kamen beim Blick auf das dunkle Kapitel der deutschen Geschichte schnell auf die Gegenwart zu sprechen, die geprägt sei von einem neuen „Auflodern der Flammen des Antisemitismus“ (Rabbiner Avrasin). Bürgermeisterin Judith Roth-Jörg berief sich auf die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, die 2023 mit 4.782 Vorkommnissen im Bundesgebiet einen Anstieg um 80 Prozent verzeichnete. Die meisten Vorfälle passierten kurz nach dem 7. Oktober, den Dr. Schuster als „Retraumatisierung“ bezeichnete. Die Solidarität nach dieser Zäsur sei schnell brüchig geworden. Solche Solidarität in Worten und Taten seien aber weiter gefragt. Dr. Schuster erinnerte an Domprobst Bernhard Lichtenberg, der heute zu den „Gerechten unter den Völkern“ zählt und einen Tag nach dem Gewaltexzess gegen die jüdische Bevölkerung 1938 den Mut hatte diese Taten öffentlich als „Schande für die ganze Menschheit“ zu verurteilen. 

Regierungspräsidentin Dr. Susanne Weizendörfer betonte bei ihrem ersten öffentlichen Termin in Würzburg nach Amtseinführung, dass die historischen wie die aktuellen antisemitischen Taten „sprachlos machten, es aber nicht beim Schweigen bleiben dürfe“. Dem Hass und den Vorurteilen müsse man mit Bildung und Begegnungen etwas entgegensetzen. Die parteiübergreifende Resolution „Solidarität mit Israel – jüdisches Leben in Bayern stärken“ des Bayerischen Landtags, die ein umfassendes Präventionsprogramm beinhaltet, sei ein wichtiges Zeichen, oder auch der Würzburger Studiengang „Antisemitismuskritische Bildung für Unterricht und Schule“. Bürgermeisterin Roth-Jörg freute sich darüber, dass dieser Vorstoß der Hochschule bereits Nachahmer gefunden hat. Sie hofft auf eine schnelle verpflichtende Verankerung im Lehrangebot für angehende Pädagogen. Die Bürgermeisterin nannte weitere wichtige Projekte wie etwa ein Austauschprogramm an der David-Schuster-Realschule mit einer Schule in Israel, welches sich vom Krieg nicht hätte abschrecken lassen. Auch via Zoom-Meeting könne man in Kontakt bleiben und gemeinsame Ziele - wie beispielsweise die Entwicklung einer App zu den Stolpersteinen - verwirklichen. 

Bei aller Gewalt und Bedrohung, die sich mal gegen den Staat Israel, mal gegen die jüdischen Gemeinden in aller Welt richten, schloss auch Dr. Schuster mit einem „Lichtblick“. Die rege Anteilnahme an dieser Gedenkveranstaltung auf dem Platz der ehemaligen Synagoge in der Domerschulstraße seien ebenfalls ein Zeichen, das hoffen ließe. Klarinettist Matthias Ernst sorgte für die musikalische Umrahmung der Gedenkveranstaltung. 

Pogrom-Gedenken 2024-1
Pogrom-Gedenken 2024-1

Gedenken an Pogrom und Gedanken über den tagesaktuellen Antisemitismus: Bürgermeisterin Judith Roth-Jörg, Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Regierungspräsidentin Dr Susanne Weizendörfer und Landrat Thomas Eberth auf dem Platz der ehemaligen Synagoge (von links). Bild: Georg Wagenbrenner

(08.11.2024)

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