Arbeits­stipendien helfen wieder in der unsicheren Zeit

Drei Künstlerinnen und Künstler werden vom Kulturreferat der Stadt unterstützt

Chiara Kastner ist fasziniert von der Geschichte von Ortrun Scheumann, die ihre Sicht auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges in Tagebüchern festhielt und möchte künstlerisch an sie erinnern. Foto: Chiara Kastner/Archiv Roland Flade

Die Corona-Zeit hat bei vielen Künstlerinnen und Künstlern Lücken hinterlassen – in den Möglichkeiten, sich künstlerisch zu betätigen und als Folge davon auch finanziell. Die Stadt Würzburg hat sich deshalb im vergangenen Jahr erstmals entschlossen, Arbeitsstipendien an Künstler*innen zu vergeben. Auch in diesem Jahr wurden die Stipendien wieder ausgeschrieben, denn noch immer fallen Veranstaltungen und Konzerte aus – wegen Corona oder weil die Zeiten gerade einfach unsicher sind. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, die in Würzburg leben und arbeiten, bewarben sich und reichten ihre bereits begonnenen oder in Planung stehenden Projekte ein. Eine fachkundige Jury, durch das Kulturreferat berufene Expertinnen und Experten sämtlicher Sparten, wählte drei von ihnen aus, die jeweils 5000 Euro dazu nutzen können, ihre Projekte zu verwirklichen. Die Stipendiat*innen in diesem Jahr sind Chiara Kastner, Philipp Benkert und Tobias Schirmer. Chiara Kastner widmet ihr Projekt Ortrun Scheumann. Als sie in Würzburg unterwegs war, fiel ihr in ihrer Lieblingsbuchhandlung ein Buch auf, auf dessen Einband ein junges Mädchen stand, ebenfalls mit einem Buch in der Hand, elegant gekleidet, an den Füßen Turnschuhe. Sie kaufte sich „Geliebte Feinde – Ein Mädchen erlebt das Dritte Reich in Würzburg“ von Roland Flade und las es sofort durch. „Der Titel schon, die Geschichte dieser Frau hat mich sofort fasziniert und nicht mehr losgelassen, ich fühlte mich mit ihr verbunden und wollte sie unbedingt kennenlernen“, erzählt Chiara Kastner. Und sie wusste sofort, dass sie schnell sein musste, denn Ortrun Scheumann war bereits über 90 Jahre alt. Sie schrieb ihr einen Brief, der sie vielleicht sogar noch erreichte, nach Bad Dürkheim, wo Scheumann wohnte. Kurz danach las sie, dass Ortrun Scheumann gestorben war. „Ich hatte das Gefühl, etwas verpasst zu haben, dass ich zu spät dran war und war zunächst desillusioniert“, so Kastner. Aber dann wollte sie dennoch weitermachen und an das beeindruckende Leben dieser Frau erinnern – auf künstlerische Weise. Ortrun Scheumann, geborene Koerber, verbrachte ihre Kindheit und Jugend größtenteils in Japan, wo ihr Vater an einer Universität Deutsch unterrichtete. Sie hatte mit ihrer Familie bereits Russland, die USA, China und andere Länder bereist und kam 1939 mit ihren Eltern und zwei Schwestern im Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus an. Die herrschende Fremdenfeindlichkeit, die Enge, die die weltoffene Familie empfand, die Liebe zu einem italienischen Kriegsgefangenen, der Bombenangriff auf Würzburg – das alles schrieb sie in ihre Tagebücher. Inspiriert von all dem Niedergeschriebenen begibt sich Chiara Kastner nun weiter auf Spurensuche: zu den Spielorten, die im Buch vorkommen, zu Verbindungen mit Ortruns Geschichte, zu dem, was die Orte heute sind. Dem Weitblick und dem weiblichen Blick auf die damalige Zeit möchte Chiara einen Ausdruck geben, offen sind die künstlerischen Mittel. Fotografie, Tanz, Sound und Text sollen helfen, diese Spuren sichtbar und fühlbar zu machen und Ortrun in Erinnerung zu behalten. Tobias Schirmer nennt sein Projekt „all you can beat“. Denn er schlägt auf sämtliche Gegenstände – um ihnen musikalische Töne zu entlocken. Der studierte Schlagzeuger legt das Augenmerk dabei allerdings nicht nur rein auf die Musik, sondern auch darauf, dass die Töne mit Gegenständen erzeugt werden, die eigentlich in der Mülltonne oder auf der Deponie landen würden. „Bis Corona kam, lebte ich von meinen Auftritten. Ich spielte als Jazz-Schlagzeuger schon in Spanien, Frankreich, in der Schweiz und Kanada, war aber auch als Bühnenmusiker im Mainfrankentheater tätig“, so Tobias Schirmer. Damit war es vorbei, als durch die Pandemie sämtliche Konzerte abgesagt wurden. Da kam ihm die Ausschreibung der Stadt Würzburg für die Arbeitsstipendien gelegen und er überlegte, wie er Musik und Nachhaltigkeit in einem Projekt zusammenfassen konnte. So kam er darauf, dass Menschen ihm Dinge, die sie eigentlich wegwerfen würden, zu ihm bringen könnten und er bearbeitet sie so, dass sie zum Musikmachen taugen. Er suchte zunächst nach einer Werkstatt, die er für drei Monate dafür mieten konnte und stieß im Internet auf die Gironimo Rebellion Gallery, die am Eingang zum Biergarten des Dornheim an der Talavera einen Verkaufswagen mit Terrasse stehen hat. „Das ist einfach ideal, dort kommen viele Leute vorbei, die auf meine Aktion aufmerksam werden und die können sogar große Sachen mit dem Auto bringen“, so Tobias Schirmer.

Tobias Schirmers Projekt, für das er Gegenstände, die eigentlich im Müll landen würden, sammelt und bearbeitet, um ihnen Töne zu entlocken, heißt „all you can beat“. Foto: Thomas Obermeier

So bekommt er etwas von einem Vater mit seinen zwei Söhnen: Topfdeckel, einen leeren Scheinwerfer und einen alten Dachziegel. Im Scheinwerfer lässt er eine Murmel rollen, auf den Topfdeckel schlägt er mit einem Schlägel und in den Dachziegel möchte er ein Loch bohren, ihn aufhängen und dann ebenfalls durch Schlagen Töne erzeugen. Das Loch bohrt er mit einer Brustleier statt mit einem Akkubohrer, denn auch bei der Bearbeitung zählt Nachhaltigkeit – er verwendet dazu keine elektrischen Geräte. Noch bis Ende Oktober können bei ihm Gegenstände abgegeben werden. Ab Oktober will er damit Konzerte spielen, sowohl in Kulturräumen, als auch in Bürgerzentren oder ähnlichen Räumen, die für alle zugänglich sind. Dazu wird die Journalistin Katja Tschirwitz einen Vortrag über Recycling halten. Philipp Benkert ist bildender Künstler aus Würzburg, der sich vor allem mit der Fotografie beschäftigt. Nach seinem Studium in München, Wien und Athen ist er nach Würzburg zurückgekehrt und möchte sich mit einem Thema befassen, das in der Vergangenheit hier eine Rolle spielte und auch in der Gegenwart immer wieder angesprochen wird: die Hexenverfolgung.

Philipp Benkert, hier mit Bildern seiner aktuellen Ausstellung in Bamberg, will sich fotografisch mit dem Thema „Hexenverfolgung in Würzburg“ auseinander­setzen. Foto: Gabriele Kunkel

„Julius Echter begegnet mir in Würzburg immer wieder, er ist bekannt als der Hexenbrenner“, so Benkert. Außerdem zeugen Straßennamen wie „Hexenbruch“ oder eine Tafel mit Informationen zur letzten verbrannten „Hexe“ Würzburgs von dieser Zeit. Zusätzlich gehören Worte wie „Hexenjagd“ auch in den Nachrichten oder im Internet wieder zum gängigen Vokabular. Donald Trump hat es immer wieder benutzt, um die angebliche Verfolgung von sich und seiner Politik zu beschreiben. „Ich bin dem Thema nachgegangen und habe festgestellt, dass viele davon eine falsche Vorstellung haben: Man denkt ans finstere Mittelalter, in dem Verfolgungen und Tötungen in einem vermeintlich rechtsfreien Raum stattfanden, aber tatsächlich passierte das meiste davon erst in der Neuzeit – von 1591 bis 1612 – und zwar juristisch legitimiert“, beschreibt Benkert. Es gab damals an der Alten Mainbrücke das Brückengericht. Hier wurde verhandelt und wurden die Urteile gesprochen. Die als Hexen verurteilten Menschen wurden auch nicht, wie oft dargestellt, lebendig auf dem Marktplatz verbrannt. Zunächst wurden sie gehängt und dann wurden auf Plätzen außerhalb der Innenstadt, zum Beispiel am Sanderrasen, die Leichname verbrannt. Im Staatsarchiv lagert viel Material, das Philipp Benkert nun sichten will, um sich dann zu überlegen, wie er das Thema künstlerisch angeht. „Ich kann mir vorstellen, dass es im nächsten Jahr eine Fotoausstellung dazu geben wird“, so der Künstler, der sein Projekt „Schwarzer Flieder/Weißer Schimmel“ nennt. Es sei zwar kein einfaches Thema, gehöre aber zur Geschichte der Stadt Würzburg dazu.

Beate Spinrath-Beck

- ANZEIGE -