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#gleichberechtigt

Was der Genderaspekt für die Sozialarbeit bedeutet

Kurzfassung einer Veröffentlichung der Gleichstellungsbeauftragten Dr. Zohreh Salali

Sozialarbeit ist als Profession in der menschlichen Geschichte ganz jung und muss sich zwischen allen Themen und Entwicklungen bewegen und positionieren.

Ein Widerspruch besteht z.B. darin, dass von der Sozialarbeit Neutralität erwartet wird, es aber nicht möglich ist, unparteilich soziale Arbeit zu leisten. Sozialarbeit ist auch durch die Institutionalisierung in ihrer Arbeit kanalisiert und ihr Handeln ist Regeln unterworfen, die ein Machtverhältnis innehaben.

Aber welche Perspektive ist die richtige Orientierung für Sozialarbeit? Auf diese einfache Frage lässt sich leider keine einfache Antwort geben - es kommt darauf an, die richtige Theorie zu finden.

Theorien sind in der Sozialarbeit wichtige Werkzeuge, die Grundkenntnisse über das Leben und die Wirklichkeit vermitteln und zugleich Alternativmodelle beschreiben. Die Schwierigkeit besteht darin, das jeweils richtige Werkzeug auszuwählen.

Eine Vielzahl an Theorien stehen hierfür zur Auswahl - manchmal sind alle richtig, aber nicht miteinander vereinbar. Oder die Theorie findet keinen wirklichen Diskurs mit aktuellen Situationen und Problemen.

Theorien gefallen uns, wenn sie umfassen und genau lösungsorientiert, aber einfach sind. Solche Theorien, die nicht verstanden werden oder an der Realität vorbeigehen, sind in der Praxis kaum einsetzbar!

Die Anwendbarkeit ist also entscheidend.

Sozialarbeit ist:

  •  Produkt der sozialhistorischen Notwendigkeit
  •  immer von Politik abhängig
  •  nicht wertneutral
  •  offen für die Interessen aller Bürger_innen
  •  immer mit politischen Herausforderungen konfrontiert
  •  wirtschaftlich nicht zu messen
  •  eine Arbeit zwischen Vision und Realität

Gleichheit und Gerechtigkeit sind Themen, die die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt haben. Und kaum ein anderes Thema wurde und wird so erbittert und kontrovers diskutiert.

Der Mensch ist nicht gleich aber gleichwertig. Alle Menschen haben also Anrecht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und die Geltung aller Menschenrechte. Daran glauben wir mittlerweile weltweit, wenn auch mit unterschiedlichen Herangehensweisen.

Was hier als gleichwertig gilt, ist in anderen Kulturen anders.

Die empirische Untersuchung der Ungleichheit, welcher Art auch immer, ist ein zentraler Bestandteil der Soziologie von Anfang an. Die Ungleichheit hat viele Dimensionen, auf die Sozialarbeit eingehen muss.

Die Fragen der sozialen Gerechtigkeit sind immer mit Situationen sozialer Gleichheit verknüpft.

Von Sokrates bis Kant, Hegel und Marx haben sich unendlich viele mit den Themen Politik, Gerechtigkeit und Gleichheit beschäftigt.

Die gleichen Fragestellungen finden sich in Bibel oder Quran und den anderen großen Ideen/Lehren. Die Frage nach der besten, allen Menschen angemessenen Lebensform ist und bleibt immer aktuell. Dabei wird auch wieder spannend, was als gerecht und gleich in welchen politischen Formen favorisiert wird.

Die Sozialarbeit hat die moralische Aufgabe, alle gerecht und gleich zu behandeln.

Dabei gehen wir nicht naiv und unbedarft an Thema Gleichheit heran. Wir sind durch unsere Sozialisation vorgeprägt.

Was gerecht und gleich sein kann, definiert die Politik und sie entscheidet über eine angemessene, gerechte und gleiche Lebensform in unterschiedlichen Arten und Weisen. Jede philosophische Lehre kann und muss durch Ordnungspolitik definiert werden.

Aber was ist die Ordnungspolitik und was hat sie mit Gleichheit zu tun? Wir haben alle die Grundintention, uns leidenschaftlich von wahrgenommener Ungleichheit hinaus auf Einheit zu denken. Die Grundideen der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, teilen wir alle, aber mit einem Fragezeichen.

Jeder hat mehr oder weniger andere Perspektiven auf die Ungleichheit und dementsprechend entwickeln wir auch unterschiedliche Ideen und Perspektiven, wie man die Ungleichheit verändern kann.

Aber welche der vielen verschiedenen Sichtweisen und Theorien helfen bei der Sozialarbeit? Wir brauchen Institutionen, die diese Sichtweisen und Wissensressourcen so regeln, dass keine große Machtasymmetrie entsteht und diese zugleich nutzbar gemacht wird.

Sozialarbeit wird oft als menschenfreundlich verstanden, im Sinne von "Gutes tun für Menschen". Aber die Sozialarbeit ist in der Moderne ein Beruf und wird im Rahmen von Organisationen, Institutionen und Einrichtungen geleistet, dabei werden Sachverhalte (Probleme) formalisiert und bearbeitet.

Der verstorbene Nikolaus Laumann, einer der prominentesten Sozialwissenschaftler, der eigentlich ein Rechts- Wissenschaftler war, hat in einer interessanten Weise die theoretischen Ansätze vom Präsens weiterentwickelt. Im Mittelpunkt von Laumanns Theorien steht die modere Gesellschaft als ein komplexes Geflecht von funktional ausdifferenzierten Teilsystemen. An diesen Teilsystemen wie Wirtschaft, Recht, Politik, Verwaltung, Universität, Bildung etc. partizipieren die Individuen über Rollen, die einander nicht ausschließen.

Die institutionalisierte Sozialarbeit hat die Aufgabe, auf die Inklusion aller Menschen hinzuarbeiten.

Für Jürgen Habermass ist das Handeln der zentrale Bestandteil der sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Theorie. Handeln ist ein Verhalten, das von Normen und Regeln geleitet wird, die einen Sinn haben. Der Sinn ist, die Beziehungen der handelnden Individuen zu regeln.

Die entscheidende Frage ist, wie viel Handlungsspielräume jeder Mensch innerhalb der Institutionen hat und wie eine Machtasymmetrie zu vermeiden ist. Die ungleichen Machtverhältnisse und der ungleiche Zugang zu den Ressourcen ist weltweit die Kernfrage der Ungleichheitsdebatte in Politik und Sozialwissenschaft.

Seit einiger Zeit ist die Gender- und Diversität- in den Fokus der politischen Diskurse gerückt und werden aus unterschiedlichen Perspektiven erklärt. Im Vergleich mit den herkömmlichen Gleichheitskonzeptionen, die meist auf bestimmte männliche Weltanschauungen und Bedürfnisse begründet waren, handelt es sich um neue, grundsätzliche Ideen.

  • Die Aufklärung postuliert die Gleichheit und Brüderlichkeit eher unter den weißen katholischen Männern. Ein Gemeinwesen mit bestimmter philosophischer und theologischer Weltvorstellung.
  • Der Marxismus geht vom Klassenkampf und Sieg der Arbeiterklasse in Hochindustrieländern aus.
  • Nietzsche geht von Kategorien und Unterscheidung von „gut“ und „böse“, „das gute Europa“ und seine Institutionen und Grundlagen, die in der Tradition der christlich abendländischen Kultur mit dem Wahrheitsanspruch verwurzelt ist, aus.
  • Jean-Jacques Rousseau, der in seinem politischen Buch „Emil“ von einem Gesellschaftsvertrag spricht, der den lasterhaften und egoistischen Gesellschaftsbürger zum tugendhaften Staatsbürger entwickelt und von kollektiver Entäußerung einer bestimmten Gesellschaft spricht.

Unter der Vielzahl an politischen Theorien, möchte ich nur kurz auf die beiden neuen Theorieansätze eingehen, da ich denke, dass die neuen Theorieansätze klarer, universeller und ganzheitlicher sind, als herkömmliche politische Theorieansätze und eine bessere Orientierung auch für Sozialarbeit anbieten.

Die Geschlechterforschung trägt dazu bei, dass viele Beziehungen zwischen symbolischer Ordnung, politischen Institutionen, Kommunikationsprozessen und Handeln von Menschen völlig neu analysiert, bewertet und beschrieben werden können.

Grundsätzlich ist die Beachtung des Geschlechts eine Querschnittsaufgabe und muss in allen Sachgebieten der Sozialarbeit integriert werden. Darüber reden wir alle, aber derzeit ist es noch nicht Mainstream. Das Thema ist in doppelter Hinsicht interessant: Sozialarbeit ist weiblich und die meisten Klienten_innen sind Frauen.

Schauen wir uns die Grundsätze von Gendertheorie an.

Mit einem kritischen Blick macht die Genderforschung auf ein entscheidendes Merkmal aufmerksam, nämlich die reale Differenz zwischen der Gleichheitssemantik und dem Gleichheitsmechanismus.

Der Kampf um die Sprache ist der Kampf um die Definitionen. Wer die Wahrnehmungen von sozialem Handeln definiert, der regelt auch die Machtverhältnisse.

Die Gender-Debatte prangert die dichotome Welt der Geschlechter an und setzt die Gleichheit, unabhängig von Differenzen, als Voraussetzung des sozialen Handelns und bringt damit eine neue Entwicklung in politische Theorien.

Nicht männliche und nicht weibliche Perspektiven sind für das Gemeinwesen entscheidend, sondern menschliche. Das hört sich einfach an, aber in der Realität stoßen wir an die Grenze der festgefahrenen Verhältnisse.

Gerade die in institutionalisierter Sozialarbeit Handelnden sind immer zwischen Vision und Realität.

Die Gender-Theorieansätze bringen einen bleibenden Wandel, Partizipation in allen Bereichen. Die Theorien und die Öffentlichkeitsarbeit ändern die Wahrnehmung, aber noch nicht die Strukturen.

Das bedeutet, ihr Handeln entscheidet, ob dieser Wandel tatsächlich zur Gleichheit führt oder eher ein Sturm im Wasserglas bleibt. Da beginnt die harte Arbeit, wenn Sie für die weitere Finanzierung der Frauenhäuser kämpfen müssen, Organisationen und Personen unterstützen wollen, die sich gegen Gewalt einsetzen oder Frauen aus der Arbeitslosigkeit heraushelfen wollen, damit sie sich selbständig finanzieren können und ich kann viele Beispiele nennen, wo das Thema Gendergleichheit semantisch als Bestandteil aller politischen Entscheidungen gilt, aber nicht die Gleichheitsmechanismen.

Der zweite Theorieansatz, der aus meiner Sicht andere Theorieansätze kompiliert, ist der Diversitätsansatz. Nun, in der Diversity-Debatte gehen wir auf eine unleugbare Realität ein.

Man hat immer von Universalismus bestimmter Werte gesprochen und die partikularen Interessen im Auge gehabt.

Dies gilt nicht nur in internationalen Beziehungen, sondern auch in nationalen Ressourcenteilungen. Die Tatsache, dass mehr als 20% der Mitglieder dieser Gesellschaft allein aus Einwandererfamilien kommen, wurde jahrzehntelang völlig vernachlässigt und es wurde ihnen das Recht auf Teilhabe in institutionellen Ressourcen aus unterschiedlichen Gründen verweigert.

Sie wurden und werden in der Rechtsordnung als nicht gleichwertig behandelt. Einzelne Aspekte sind Ihnen bekannt. Gastarbeiter, Flüchtlinge, Illegale, etc., selbst da, wo diese Aspekte thematisiert wurden, ging dies von einer Herrschaftsperspektive aus. Man hat über sie bestimmt, aber sie konnten und können nach wie vor nicht bestimmen.

Diversitätstheorie befasst sich nicht mehr mit den Unterscheidungen, wer wo wann welche nationale Identität, sexuelle Identität oder körperliche Merkmale besitzt, sondern welche Fähigkeiten jedes Individuum anbieten kann.

Zwar kommt die Diversity-Debatte aus unternehmerischen Interessen aus den USA, dennoch revolutioniert sie neben der Gender-Debatte das Handeln und die Beziehungen der Menschen weltweit.

Der Universalismus und partikulare Interessen sollen in Institution auf allen Verwaltungsebenen implementiert werden.

Die Institutionen basieren aber auf Normen und Werten, die die beiden Theorien nicht kannten, nicht wollten oder nicht durchführen wollten.

In der Frauen- und Genderforschungsdebatte wird aber auch über die Gefahren der Diversity diskutiert. Diversity hat noch keine ausgereiften theoretischen Grundlagen und es ist noch nicht über den Subtext nachgedacht worden.

Gerade für die alltägliche Praxis der Sozialarbeit ist dies aber unverzichtbar. Dennoch gehe ich von der These aus, dass die Sozialarbeit in Zukunft durch die Arbeit mit Diversität eine Fülle von Empirischen Erfahrungen sammeln kann und wird, die für die weitere Theoriebildung außerordentlich wichtig sind.

Sozialarbeit hat die Aufgabe, Menschen aus einer schwierigen Momentsituation heraus zu begleiten und in einem Optimalverlauf perspektivisch in die Gemeinschaft zu inkludieren.

Es ist auch genauso längst erkannt, dass die institutionalisierte Sozialarbeit im Rahmen des sich funktional ausdifferenzierenden Systems kommunaler Sozialpolitik in einer Hierarchie eingebunden ist und die Finanz- und Strukturkrise des Sozialstaates die personenbezogene Sozialarbeit der Institutionen und ihre Mitarbeiterinnen längst erreicht hat und ihre Arbeit einer Finanzierbarkeitsüberprüfung unterzogen wird.

Wir brauchen die täglichen empirischen Erfahrungen der SozialarbeiterInnen unter den erschwerten Bedingungen, um die bestehenden Theorien weiterzuentwickeln.

 

 

 

 

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