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Zu Fuß von Schengen nach Würzburg

Eine Wanderung über 370 Kilometer und gleichzeitig eine Zeitreise ins Jahr 1840

Brachfogel:
Brachfogel: (c) Georg Wagenbrenner
Ziel erreicht nach 17 Tagen: Die Brüder François, Michel, Philippe und Dominique Brachfogel (von links) auf den Spuren ihres Ahnen Gerome. Oberbürgermeister Christian Schuchardt (Bildmitte) hörte eine außergewöhnliche Reisegeschichte.
Viele Familiengeschichten verblassen irgendwo kurz hinter der Urgroßmutter oder vielleicht auch erst dem Urururgroßvater. Da gibt es womöglich noch ein altes Tagebuch, verblichene Fotos oder ein besonderes Erbstück, das eine Episode, aber keine ganze Geschichte erzählt; Und es gibt vor allem viele Fragezeichen. Die Brüder Brachfogel können da nur schmunzeln und einige Generationen weiter zurückblicken. Ihr Vorfahre Hans Brachvogel war 1592 Bürgermeister von Gestungshausen (heute ein Teil von Sonnefeld bei Coburg). Johann Wilhelm Bachvogel diente von 1733 bis 1750 als Examinator (so etwas wie ein Steuerkontrolleur) am Rennweger Tor in Würzburg, ein Beruf, den dann auch sein Sohn Karl Wilhelm 25 Jahre ausfüllen sollte, um dessen Enkel Gerome wiederum dreht sich die nicht alltägliche Wandergeschichte, die hier erzählt werden soll und die nun von vier Brüdern eine Neuauflage erfuhr.

Gerome Brachvogel wurde am 31. Juli 1773 am Rennweg 5 (heute Theaterstraße) geboren und würde also in diesem Jahr seinen 250. Geburtstag feiern. Über sein Leben hat Philippe Brachfogel einige Eckdaten zusammengetragen, die man auch als Liebeserklärung an die Stadt Würzburg lesen kann. 

Mit 20 Jahren trat er in die Kompanie des Grafen Mahony ein und unterstand so dem österreichischen Kaiser. In der Schlacht von Lonato in Italien 1796 geriet er in Gefangenschaft. Die Gegenseite waren die Truppen von General Bonaparte. Die französische Revolutionsregierung in Aubusson stellte Brachvogel, dessen Name später auf einem französischen Amt das „f“ erhielt, vor eine ungewöhnliche Wahl. Ihm drohten Jahre der Haft oder die Einbürgerung unter besonderen Umständen. Er entschied sich für letzteres: eine Französin zu heiraten und ein Kind zu adoptieren. Nachdem er 44 Jahre in Frankreich verbracht hatte, beschloss er im Alter von 70 Jahren nach Würzburg zurückzukehren. „Er hatte sicher Heimweh!“, spekuliert sein Nachfahre.

Dem womöglich melancholischen Beschluss nach Würzburg zurückzukehren folgte vor 183 Jahren schließlich eine abenteuerliche Tat. Zu Fuß machte sich Gerome Brachvogel auf den Weg und reiste 20 Tage durch die deutschsprachigen Gebiete. Nicht jedes Detail dieser Reise ist bekannt, doch man kann davon ausgehen, dass er weder eine Navigationsapp auf dem Smartphone nutzte, noch vorab im Internet Übernachtungen buchen konnte. In Würzburg angekommen, musste er feststellen, dass seine Familie die Stadt längst verlassen hatte. Er war die letzten Jahre seines Lebens auf sich allein gestellt. Er starb schließlich 1848 im Bürgerspital nur wenige Meter von seinem Geburtsort entfernt. Nachdem er zunächst im Krieg und später in friedlicher Mission halb Europa gesehen hatte.

Hier endet die besondere Geschichte noch nicht. Philippe und seine drei Brüder François, Dominique und Michel sind heute zwischen 62 und 74 Jahre alt. Sie pflegen schon seit längerem ein jährliches Wanderritual. Waren zusammen beispielsweise schon auf dem Jakobsweg unterwegs. In diesem Jahr entschied sich das Quartett für eine besondere Reise und ging Geromes Weg noch einmal nach. Natürlich ist die exakte Route von einem kleinen Ort bei Schengen nach Würzburg nicht überliefert, man plante selbst 17 Tagesetappen von jeweils rund 25 Kilometern und marschierte los. Unterwegs gönnte man sich altersgemäß durchaus etwas Komfort und übernachtete in Hotels. Als Freunde von Wildgerichten nutzten sie die Gelegenheit, auch einige Spezialitäten zu testen, die es zu Hause selten gibt, oder man machte einen Halt in Heidelberg, das nicht unbedingt auf der Strecke hätte liegen müssen.

In Würzburg angekommen, gab es für die sportlichen Brüder, die heute über ganz Frankreich verteilt wohnen, zwei besondere „Audienzen“. Oberbürgermeister Christian Schuchardt empfing die Gruppe im Amtszimmer. Nach den Strapazen der letzten Tage waren die Brüder gelöst und plauderten mit dem OB über Napoleons Besuche in Würzburg, ihre eigenen historischen Recherchen, die Weinkultur Mainfrankens und Würburgs Partnerstadt Caen. Die Stadt spendierte der außergewöhnlichen Reisegruppe eine Stadtrundfahrt durch die Altstadt mit dem City Train: „Legen sie nach der langen Wanderung die Füße einmal hoch und genießen sie den Aufenthalt in Würzburg! Vielen Dank, dass sie uns von ihrer Zeitreise und der Wanderung ihres Vorfahrens berichtet haben“, so Schuchardt. 

Im Dom stand zudem noch ein Besuch bei Pfarrer Dr. Matthias Leineweber an. Für die beiden Empfänge waren die Brachfogels sehr dankbar, weil sie so an eine Tradition anknüpfen konnten, die unter den Maurern in der Creuse gepflegt wird. Diese werden, wenn sie nach einem harten Arbeitsjahr in Paris in ihr Dorf zurückkehren vom Bürgermeister und Pfarrer begrüßt. Diese freundliche Geste scheint nach 183 Jahren erst recht angemessen. Bis Sonntag ist die Gruppe nun noch in Würzburg, bevor es mit dem Zug zurückgeht. Es ist auch noch ein Abstecher nach Oberfranken geplant; auch für Recherchezwecke in Bamberg. Vielleicht ergibt sich aus der spannenden Familiengeschichte der Brachfogels ja noch eine Wanderroute für die nächsten Jahre.


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