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Gedenken an die Pogromnacht 1938

Am Standort der ehemaligen Hauptsynagoge gedachten am Mittwochabend rund 330 Menschen der jüdischen Opfer des NS-Terrors in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938.

(c) Petra Steinbach
Oberbürgermeister Christian Schuchardt am Standort der ehemaligen Synagoge.
Vor 85 Jahren hatten Nazis Synagogen und jüdische Läden in ganz Deutschland zerstört. In Würzburg wurde die Hauptsynagoge vollständig verwüstet und die Synagoge im Stadtteil Heidingsfeld niedergebrannt. Wohnungen und Geschäfte von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern wurden in Trümmer gelegt, vier Juden wurden getötet.
„Die Zerstörung von jüdischem Leben in ganz Deutschland begann an diesem Tag. Es war der Tag, an dem sich die Tore von Auschwitz öffneten", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in seiner Rede. "Zum großen Schrecken" aller Juden in Deutschland sei es aber auch eine Realität der letzten Wochen, dass wieder jüdische Gemeinden und Geschäfte angegriffen würden. "Das Versprechen von 'Nie wieder!' wandelte sich vor unseren Augen in 'Schon wieder!'" Schuster warnte vor aufflammendem Judenhass, der seit dem Angriff der Hamas auf Israel auch in Deutschland wieder stark zugenommen hat. "Der Kampf wider den neuen Antisemitismus heute ist nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil Antisemiten, egal ob religiös oder politisch motiviert, aus dem rechten oder dem linken Spektrum, es nie beim Antisemitismus bewenden lassen.“ Zivilcourage und Solidarität zu zeigen, sei derzeit besonders wichtig. "Es war nie wichtiger, überzeugt für unsere Demokratie und unsere Freiheit einzustehen. Sie war schon sehr lange nicht mehr einer solchen Bedrohung ausgesetzt", so Schuster eindringlich.

Oberbürgermeister Christian Schuchardt zeigte sich in seiner Rede fassungslos über die seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sich mehrenden „antisemitischen Parolen und Angriffe auf jüdische Gemeinden, auf Synagogen, auf Menschen.“ „Während wir heute hier zusammenkommen, fürchten mitten in Deutschland wieder Juden um ihre Sicherheit. Das kann - das darf - nicht sein!“, betonte Schuchardt. „Der Schutz jüdischen Lebens und die Bekämpfung von Antisemitismus müssen oberstes Staatsziel bleiben. Dafür tragen wir in Deutschland eine immerwährende Verantwortung. Eine Verantwortung, die uns an Tagen wie heute besonders eindringlich und besonders schmerzlich bewusst wird.“

Den blanken Hass, der sich in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 Bahn brach, verdeutlichte Schuchardt durch die Tagebucheintragung des damals 19-Jährigen Zeitzeugen Mischael Rosenberg, der die Pogromnacht in der Bibrastraße miterleben musste: „Um halb vier Uhr wurden wir geweckt – durch die Schläge, die die Haustür aufbrachen. Dann krachte es, die Tür war auf – sie kamen. So um mein Leben habe ich noch nie gezittert. Es blieb nicht ein Stückchen ganz im ganzen Zimmer, die Schränke, die Betten, die Waschschüssel, Spiegel, Stühle, Federkissen, Gläser, Türen – all dies bildete ein unbeschreibliches, grauenerregendes Tohuwabohu von Splittern, Scherben, zerbrochenen Stühlen, zertrümmerten Bettstellen, eingehauenen Türen, Kleidern und was sonst noch alles in einem Schlafsaal vorhanden ist. Nach einer dreiviertel Stunde war so ziemlich alles vorbei – so dachten wir wenigstens – dann hörte man Neuigkeiten: die Synagoge ist zerstört.“

Die Verwüstung und Zerstörung der Synagoge war eine Zäsur. Die Nationalsozialisten wollten alles Jüdische auslöschen.

„Dass jüdisches Leben heute wieder ein fester und wertvoller Bestandteil unserer Stadt Würzburg ist, erfüllt mich mit großer Demut und tiefer Dankbarkeit“, so der Oberbürgermeister bewegt. „Es ist eine unbeschreibliche Ehre für unsere Stadt, dass mit Herrn Dr. Josef Schuster sogar der Zentralrat der Juden in Deutschland vertreten ist. Es ist eine Ehre für unsere Stadt, dass das Jüdische Gemeinde- und Kulturzentrum Shalom Europa heute wieder rund 1000 Mitglieder fasst. Es ist eine Ehre für unsere Stadt, dass wir mit dem Johanna-Stahl-Zentrum die Geschichte der jüdischen Bevölkerung dokumentieren und vermitteln können und dass wir mit dem deutschlandweit einmaligen Studienangebot am Zentrum für antisemitismus-kritische Bildung unserer Universität einen Beitrag zur Prävention leisten.
All das müssen wir von Herzen wertschätzen, fördern und schützen.“

Unterfrankens Regierungsvizepräsident Jochen Lange begann seine Rede mit den Worten „Das heutige Gedenken ist beklemmend anders. Es wird auf schreckliche Weise durch den nicht zu rechtfertigenden terroristischen und grausamen Angriff der Hamas vor einem Monat auf unschuldige Menschen in Israel überlagert.“
Lange sieht im Kampf gegen Antisemitismus zum einen das entschiedene Einschreiten des Rechtsstaates und der Strafverfolgungsbehörden gefordert, zum anderen eine aktive Erinnerungskultur und anhaltende Bildungsarbeit. „Jüdisches Leben ist seit 1700 Jahren Teil des Lebens in Deutschland und deshalb hierhergehörend und nicht fremd. Dies gilt es immer wieder zu vermitteln. Dazu muss und kann die Bildungsarbeit einen wesentlichen Beitrag leisten“, so Lange.
„Gerade in Unterfranken mit seinen vielen Zeugnissen jüdischen Lebens finden sich zahlreiche Möglichkeiten der Begegnung, der Vermittlung von Wissen und damit der Vermeidung oder Beseitigung von Vorurteilen.“

Der historischen Verantwortung des Gedenkens und Erinnerns müssen wir uns stellen. Stimmen, die fordern, dass es damit fast 80 Jahre nach Kriegsende nun auch mal sein Bewenden haben müsse, kann man nur entgegnen: Nein!

„Wir alle sind gefordert, solchen Tendenzen zu begegnen und für unsere Werte einzustehen. Die Angriffe finden nicht im Verborgenen statt. Sie sind sichtbar.“


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