Fly me to the Musikbücherei: Angesummt-Werden als Berufsrisiko
Wer diesen interstellaren Raum einmal völlig losgelöst erforschen möchte, braucht natürlich ein geeignetes Mess-Instrument. Die Ukulele zeigt exemplarisch, welche Saiten die beiden Musikspezialisten des Hauses mit fein aufeinander abgestimmten Angeboten bei der Kundschaft zum Schwingen bringen möchten.
Manfred Ullrich, der Leiter der Musikbücherei, ist stolz darauf, dass seine Ukulelen zum Ausleihen bereits im Orbit waren, noch lange bevor die „Bibliothek der Dinge“ an den Start ging. Inzwischen hat es sich vielleicht herumgesprochen, dass man in der Stadtbücherei nicht nur Bücher, sondern beispielsweise auch Mischpulte, Mikrophone oder Synthesizer kostenlos nach Hause mitnehmen kann. Die Ukulele übernahm hier quasi als „Ur-Ding“ wichtige Pionierarbeit und steht für eine große Lust an „neuen Medien“, einer konsequenten Orientierung an Kundenwünschen und einem Bildungsbegriff, der sich ständig ausdehnt.
Die Angebote der Bücherei sollen nicht durch einen strengen Bildungskanon „erziehen“, sondern mit den richtigen „Spielsachen“ zu lebenslangem Lernen, Experimentieren und Freude an der Musik ermuntern. Wer im OPAC, der Medien-Suchmaschine der Stadtbücherei, nach „Ukulele“ sucht, erhält neben den aktuell drei Mini-Gitarren zahlreiche weitere Treffer: Songbücher, CDs, Kurse mit Video-Tutorials oder gar Spielfilme, in denen das Instrument eine kleine Nebenrolle hat. Sachbücher zeigen, dass sich Ukulelen zur Interpretation von Barockmusik oder als Banjo-Ersatz im Bereich Folk/Country eignen. Es gibt ein Ukulelen-Notenbuch nur für Billie-Eilish-Fans oder auch für alle, die schon jetzt Weihnachtslieder einstudieren wollen. Ratgeber informieren über die verschiedenen Stimmweisen des Instruments oder geben wertvolle Reparaturtipps. Man kann durch die Bücherei theoretisch und praktisch zum Ukulelen-Profi werden.
Dieses Suchergebnis belegt, was die Bücherei heute alles leistet und wie sich die Philosophie des Hauses über die Jahrzehnte immer wieder verändert hat. 1937 noch am damaligen Theaterstandort gegründet, gab es immer wieder markante Einschnitte. So zum Beispiel 1969 als die „Phonothek“ eröffnete und man sich vom Personal plötzlich an drei Hörplätzen eine von zunächst 394 Schallplatten auflegen lassen konnte. Neben Beethoven erklangen hier auch die Beatles. Oder was könnte besser zu diesem Jahr passen als eine Schallplatte mit Tondokumenten von der ersten Mondlandung?
Heute ist das Vinyl, das zwar aktuell ein großes Revival erlebt, wieder aus der Abteilung verschwunden. CDs sind nun einmal viel pflegeleichter und die erfolgreichsten Tonträger müssen über die Jahre durchaus einiges aushalten. Auf stolze 479 Ausleihen kommt bislang Peter Gabriels Album „So“. Ein vielleicht unerwarteter Spitzenreiter und auch auf den nächsten Plätzen folgen mit Simon and Garfunkel (Filmmusik „The Graduate“), den Rolling Stones („Love you live“) oder Emerson, Lake & Palmer nicht unbedingt die üblichen Verdächtigen von Michael Jackson bis Herbert Grönemeyer. In der Rubrik Klassik gibt es mit Mozarts „Cosi fan tutte“ und Bachs „Violoncello-Suiten“ schon eher Favoritensiege.
Mit dem Siegeszug von Spotify und YouTube gingen die CD-Ausleihen zuletzt dramatisch zurück. 2004 war das erfolgreichste Jahr aller Zeiten. Damals wurden rund 9000 Bücherei-CDs in Jahresfrist stolze 163.000 Mal ausgeliehen. Im vergangenen Jahr wurden hingegen die aktuell rund 7400 CDs nur noch 17.600 Mal verbucht. Sehr gefragt ist weiterhin die Rubrik „Preisgekrönt“, mit der sich die Stadtbücherei am „Preis der deutschen Schallplattenkritik“, „Opus Klassik“ oder hervorragenden Besprechungen in Zeitschriften orientiert und somit auch anspruchsvolle Werke und Interpretationen empfiehlt. Auch der gute alte BRAVO-Sampler ist in Zeiten von kostenlos verfügbaren Playlisten aber weiter sehr gefragt. Ullrich weiß viel über die Vorlieben seiner Kundschaft. Aus den Ausleihstatistiken lässt sich einiges ablesen, doch unverzichtbar ist natürlich insbesondere das persönliche Gespräch.
Nicht selten wird dem Diplom-Bibliothekar mit Zusatzausbildung zum Musikbibliothekar auf der Suche nach Noten oder CDs auch etwas vorgesungen oder vorgesummt. „Die Leute sind dann schwer beeindruckt, wenn ich aus dem Stegreif sagen kann ‚Jesus bleibet meine Freude – Bach Werke Verzeichnis 147!‘. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass fast immer die gleichen rund 20 Melodien vorgetragen werden. Diese hat man nach einigen Jahren dann natürlich drauf“, gibt sich der Musikexperte mit einem breiten persönlichen Interesse, von Bach über Jazz bis zu den griechischen Liedermachern, ganz bescheiden. Aus den persönlichen Begegnungen lernt er auch, die Verschlagwortung der Medien zu perfektionieren –dies sei das Herz jeder Bücherei. So gibt es beispielsweise auch die Suchkategorie „Hochzeit“, weil eben schon häufig nach passender Musik für Trauungen gefragt wurde und sich dieser Bezug meist nicht direkt aus einem Albumtitel ergibt. Und nicht jeder will CDs ausleihen, manche bringen auch CDs. Die Bücherei hat einige langjährige Kooperationspartner, wie beispielsweise das Africa Festival, das über die Jahre die „Weltmusik“ in der Stadtbücherei mitgeprägt hat. Auch Würzburgs Musikschaffende bringen immer wieder ihre neuen Publikationen in der Musikbücherei vorbei.
Und was war vor der Compact Disk und der Langspielplatte? Über Jahrzehnte waren dies Notenbücher. Allein die Gesamtausgabe Mozarts füllte in der Abteilung über Jahrzehnte zwei komplette Regalwände. In der Mozartfest-Stadt lange Zeit ein unantastbares Angebot, auch wenn einfachere Arrangements insbesondere fürs Klavier wie etwa Filmmusiken von „Star Wars“ bis „Fluch der Karibik“ die Besucher sicher häufiger nachspielen als Mozarts geistliches Singspiel „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“.
Was schließlich ins Magazin wandert, ist selbstverständlich nicht verloren, sondern weiter in der Suchmaschine und so kann man auch seltene Schätze wie beispielsweise sämtliche Noten, die dem Falkenhaus vom Komponisten Berthold Hummel vermacht wurden, weiter studieren oder ausleihen. Doch es ist wie in der gesamten Innenstadt: nicht alle Waren werden in den Schaufenstern der 1A-Lage präsentiert – im Falkenhaus wäre dies der großzügige Marktbereich im Erdgeschoss mit Ausstellungen im monatlichen Wechsel. Neue Ware drängt ständig nach. 2023 wurden beispielsweise alleine 255 neue CDs untergebracht. Die Digitalisierung bietet laut Ullrich auch bei der chronischen Raumnot der Stadtbücherei große Potentiale. Schon heute sieht man selbst in Konzertsälen auf den Notenständern immer häufiger Tablets. Dieser papierlose Trend dürfte sich weiter verstärken und auch die Musikbücherei in der Würzburger Stadtbücherei einmal mehr verändern; so wie eBooks und Tolino viele gedruckte Romane und Sachbücher ersetzt haben. Mit der Fortschreitung der Digitalisierung dürften weitere Regalmeter frei werden. Das Bibliotheks-Team wird sich auch für diese „unendlichen Weiten“ etwas einfallen lassen.